Als sie noch Schülerin war, musste sie Bibelstellen suchen und herausschreiben. Nun gibt Marion Jünger (58) selbst Religionsunterricht. Sie ist Religionslehrerin im Kirchendienst und Schulseelsorgerin an einer Gemeinschaftsschule in Kupferzell. Im Interview erzählt sie von Leistungsdruck in den Familien, aber auch von nicht religiösen Kindern, die gerne den Religionsunterricht besuchen.

Frau Jünger, Sie haben Religionspädagogik studiert und arbeiten als Religionslehrerin im Kirchendienst. Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Schon während meiner Schulzeit war klar, dass ich etwas Pädagogisches machen wollte. Ich entschied mich für den Beruf der Erzieherin. Ich habe diesen sehr geliebt und die Leitung einer Einrichtung übernommen. Als wir mit Beginn meines Mutterschutzes umgezogen sind, habe ich mein Montessori-Diplom gemacht und es hat mich sehr angeregt, dass ich neben der Erziehung meines Kindes etwas für den Kopf hatte. Ich absolvierte dann über die Domschule Würzburg ein theologisches Studium, um mich persönlich weiterzubilden. Erst nach dem Grundstudium hatte ich die Idee, dass ich auch das Aufbaustudium machen möchte. Da ich aus der Pädagogik komme, habe ich mich für einen pädagogischen Beruf entschieden. Ich wollte an die Schule – und diese Entscheidung war vollkommen richtig.

Wie haben Sie denn Ihren eigenen Religionsunterricht von früher empfunden?
Mein eigener Religionsunterricht war eher abschreckend. Er bestand darin, dass 28 Bibeln ausgeteilt und 20 Bibelstellen an die Tafel geschrieben wurden. Diese haben wir gesucht, gelesen und den wichtigsten Satz herausgefiltert. In der Grundschule hatten wir den katholischen Pfarrer vom Dorf, der uns jede Stunde eine Geschichte erzählte oder fragte, was in der Kinderkirche vergangenen Sonntag Thema war. Das konnte mich aber auch nicht abschrecken, wie Sie sehen. (lacht)

Und obwohl Sie Ihren eigenen Religionsunterricht nicht überzeugend fanden, bedeuten dennoch Glaube und Religion etwas für Sie …
Ja. Zum einen ist es für mich eine Herausforderung. Je älter ich werde, umso mehr. Dann hatte ich das Glück, dass ich an ganz vielen Knotenpunkten meines Lebens, wo Entscheidungen zu treffen waren, Menschen, die dem Glauben nahestanden, begegnet bin. Diese haben mir als Gesprächspartner und Reflexionsfläche weitergeholfen, meinen Weg zu finden und Entscheidungen zu treffen. Noch bedeutender war, dass diese Menschen immer aufgeschlossen, offen und großzügig mit Glaubensfragen umgegangen sind und mir damit auch in Krisenzeiten geholfen haben, nicht aufzuhören zu fragen und nach Antworten zu suchen.

Was waren Ihre schönsten Erlebnisse, die Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn als Religionslehrerin hatten?
Mit zu den schönsten Erlebnissen zählt, wenn Schüler, die nicht mehr an der Schule sind und die mir begegnen, froh auf mich zukommen, ein Gespräch mit mir anfangen und sich gerne an die Zeit erinnern, die wir zusammen hatten. Denn das Fach Religion zählt, vor allem in den oberen Klassen, nicht gerade zu den einfachsten Fächern.

Welche Hürden sehen Sie in Ihrem Beruf?
Die Hürden kommen von dem, was die Kirche in den letzten Jahren umtreibt. Damit werde ich oft in Verbindung gebracht und darunter leide ich zunehmend als Frau und Laie. Menschen, die der Kirche fern stehen, verbinden genau das mit Kirche und reduzieren es häufig darauf. Das ist für mich eine emotionale Hürde – den Kopf hinzuhalten für etwas, das ich nicht zu verantworten habe.

Für mich geht der Religionsunterricht über den Ethikunterricht hinaus, weil ich meine Werte und meine Haltungen dort verorte, wo ich im Glauben zu Hause bin.

Und viele dieser Menschen, die der Kirche und Religion eher skeptisch gegenüberstehen, meinen, dass der Religionsunterricht in der heutigen Zeit nicht mehr nötig sei und der Ethikunterricht reiche …
Da bin ich anderer Meinung. Ich halte den Ethikunterricht in dem Moment für sehr wichtig, wenn sich Jugendliche von der Kirche abwenden. Aber für mich geht der Religionsunterricht über den Ethikunterricht hinaus, weil ich meine Werte und meine Haltungen dort verorte, wo ich im Glauben zu Hause bin. Das ist für mich definitiv mein Glaube an Gott, an dieses Größere, was über mich hinausweist – und an Jesus. Dadurch, dass ich auch Schulseelsorgerin bin, begegnet mir so etwas wie Bedenken gegenüber dem Religionsunterricht kaum, weil sich mein Dasein an der Schule nicht nur auf den Unterricht beschränkt, sondern deutlich wird, dass Kirche einen Mehrwert bietet. Dieser wird bei uns an der Schule sehr geschätzt.

Sie haben gerade auch Ihre Tätigkeit als Schulseelsorgerin angesprochen. Welche Themen bewegen allgemein die Schülerinnen und Schüler?
Ich werde von Kindern, Jugendlichen oder Kollegen in Fragen von Krankheit und auch in Todesfällen innerhalb der Familie hinzugezogen. Andere Situationen sind Suchtproblematiken wie Magersucht, bei denen ich in der Einzelbetreuung tätig bin.
Mein „Steckenpferd“ an der Schule ist der gerechte Handel und der Umgang mit der Einen Welt. Das ist für mich aus dem Schöpfungsgedanken heraus ganz logischerweise die Folgerung. Wir haben als Schulgemeinschaft die Zertifizierung zur Fairtrade-School bekommen und das ist ein Thema, bei dem wir sehr viel über Gerechtigkeit diskutieren und schauen, wie wir die Schule voranbringen. Schulseelsorge nimmt immer Kontakt mit Eltern, dem Kollegium und Schülern auf. Also ist es keine reine Schülerangelegenheit und schon gar nicht nur an Christen gebunden.

Sie haben gerade die Schöpfung angesprochen. Liegt also Ihrer Meinung nach die Wichtigkeit der Bewahrung der Schöpfung in der Bibel und ist es Ihnen deshalb so wichtig, dieses Thema den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln?
Ja – und da ich in den Klassen eins bis zehn unterrichte, ist es so, dass dieses Thema in verschiedenen Entwicklungsstufen der Kinder auch immer wieder eine Rolle spielt. Während am Anfang der Schulzeit im Vordergrund steht, den Kindern das Gefühl zu vermitteln, dass hinter allem jemand steht, der es so will, geht es in den oberen Klassen eher um die Auseinandersetzung, in welchem Zustand unsere Schöpfung ist und welche Rolle unser menschliches Zutun dabei spielt. Ich bin seit eineinhalb Jahren mit den Schülern dabei, das Thema Fridays for Future in die Schule zu bringen und die Schüler darauf aufmerksam zu machen, dass wir eine Aufgabe haben, die über unsere Nasenspitze hinausgeht. Da schließt sich auch der Kreis mit der Fairtrade-Arbeit und der Eine-Welt-Arbeit.

Ich bin mit den Schülern dabei das Thema Fridays for Future in die Schule zu bringen und sie darauf aufmerksam zu machen, dass wir eine Aufgabe haben, die über unsere Nasenspitze hinausgeht.

Welches religiöse Wissen und welchen Hintergrund bringen die Schülerinnen und Schüler mit?
Der Hintergrund reicht von gar nicht religiös bis hin zu religiös in der Familie aufgewachsen und hervorragend begleitet und geführt. Also das ganze Spektrum in einer Klasse. Bei uns besucht die große Mehrheit der Kinder den Religionsunterricht. Darunter sind auch Kinder anderer Religionen. Diejenigen, die als Ministranten oder in der Jungschar aktiv sind, treten deutlich hervor. Aber wir haben auch viele Kinder, die theologisch völlig unwissend aus den Familien kommen und ab der ersten Klasse gerne diesen Unterricht besuchen, weil eine Seite in ihnen geweckt wird, die nun Nahrung bekommt.

Waren früher die Schülerinnen und Schüler noch stärker an den Glauben gebunden?
Ich weiß es nicht. Es hat sich vieles eher familiär verändert – im Sinne einer großen Belastung, die auf den Familien liegt und die wir in der Schule erfahren. Die Selbstverständlichkeit mit der Familie zu leben, hat sich verändert. Die jungen Eltern haben eine sehr hohe Erwartung an sich selbst. Wir spüren eine Optimierung von Kindern und Lebensläufen. Das macht Druck.

RELIGIONSLEHRERIN IM KIRCHENDIENST
Kirchlich angestellte Lehrkräfte haben entweder eine abgeschlossene Berufsausbildung und erlangen die fachliche Ausbildung im Würzburger Fernkurs, die zum Dienst als Teilzeit-Religionslehrer/innen an Grund- und Hauptschulen befähigt. Eine berufliche Perspektive kann anschließend eine Zusatzausbildung zur Gemeindereferent/in sein. Eine weitere ist eine berufsbegleitende Ausbildung in der Schulpastoral. Der Abschluss “Magister theologiae” in katholischer Theologie an der Universität ermöglicht des Weiteren über ein kirchliches Referendariat die Ausbildung zu Religionslehrer/innen im Kirchendienst an Gymnasien und Beruflichen Schulen.

 

TEXT: JAKOB RAGER (23)