Die eigene Berufung zu entdecken und ihr nachzugehen ist das eine – sie über die Jahre überzeugt zu leben das andere. Was ist wichtig, um auch nach Jahrzehnten noch Freude am kirchlichen Beruf zu haben?
Ich bin Pastoralreferentin. Ich würde aber nicht sagen, dass ich genau dazu berufen bin. Gott ist ja kein Arbeitsamt. Er verteilt keine speziellen Berufe. In meiner Geschichte war es so: Ich spürte die Berufung, das Evangelium zu verkündigen. Dazu wollte ich in der Kirche arbeiten, in welchem Beruf war zu- nächst alles andere als klar.
Eine Berufung zu verspüren hat zunächst einmal nichts oder noch nichts mit Gott zu tun. Es ist eher, wie man jetzt mit dem Soziologen Hartmut Rosa sagen kann, eine Resonanzerfahrung: die Wahrnehmung, dass mich ein Aufgabengebiet anspricht und dass ich darin etwas bewegen kann; dass die Aufgabe in mir etwas zum Klingen bringt und ich darauf so antworten kann, dass ich mich als wirksam erlebe.
Bei den meisten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen über 50, die heute im pastoralen Bereich in der Kirche arbeiten, wurden schon vor dem Studium zahlreiche Erfahrungen in der Jugendarbeit und Kirchengemeinde gesammelt, sodass sich schon früh eine stabile Resonanzbeziehung, Hartmut Rosa nennt es Resonanzachse, zur christlichen Religion und Kirche ausbilden konnte, ein wechselseitiges Fundament von Affektion und Wirksamkeit (sprich erreicht werden und etwas erreichen), auf dessen Basis dann zahlreiche Resonanzerfahrungen eintreten konnten: im Gemeindepraktikum, im Schulpraktikum, in der Ausbildung und in den ersten Berufsjahren.
Der Beruf der Pastoralreferentin war dabei das Angebot der Kirche, das ich als kirchen- und evangeliumsbewegte Frau ergreifen konnte, das Mittel, um die Berufung leben zu können. Wäre Pfarrerin im Angebot gewesen, hätte ich lieber da zugegriffen, aber das stand ja bekanntlich nicht zur Wahl und steht es ja heute noch nicht.
Man kann eine Berufung nicht „machen“
Die religiöse Dimension kam zu den Resonanzerfahrungen hinzu, natürlich, von Anfang an. Auch Hartmut Rosa sieht sie mit seinem Resonanzkonzept verbunden. Ist doch die ursprünglichste Resonanzbeziehung die zwischen einem den Menschen ansprechenden Gott und dem antwortenden Menschen. Zudem – und vielleicht heute noch wichtiger, weil anschlussfähiger – sieht er im Resonanzgeschehen eine unverfügbare Dimension. Man kann Resonanz nicht machen, sie ist angewiesen auf ein Ereignis, das umfassend nicht verfügbar ist. So ist es auch mit der Berufung. Dass einen eine Aufgabe anspricht, ist nicht herstellbar. Und dass man mit den passenden Fertigkeiten antworten kann auch nicht. Bei allem Training und Schweiß braucht es auch Begabung, Charisma, das richtige Händchen. Das hat man oder man hat es nicht. Dieses Unverfügbare gehört zu jeder Berufung. Für den religiösen Blick auf die Welt ist darin das Göttliche verborgen, die Hand Gottes am Werk, das Transzendente im Diesseits erfahrbar. Das Göttliche ist ein Geschehen im Geschehen. In der Erfahrung der Berufung ereignet sich das Göttliche mit.
Dennoch bleibt es eine Suchbewegung. Weder das Göttliche noch das Menschliche in der Berufung ist ein für allemal gegeben und damit eine Art Besitz. Die Fertigkeiten müssen weiter trainiert werden, die Erfahrung, wirksam zu sein, muss sich immer wieder einstellen, auf der anderen Seite das fortwährende oder wiederkehrende Angesprochen- und Gemeintsein. Auch wenn die Berufungsachse durch den Beruf stabilisiert wird, braucht es immer wieder die Erfahrung der Berufung in diesem Beruf, dass man spürt: Die Aufgaben locken mich und ich kann etwas bewegen!
Vielleicht wird Berufung zu individualistisch gedacht
Für viele Pastoralreferentinnen und -referenten, die heute über 50 sind, boten sich in dieser Suchbewegung, in diesem Berufungsprozess weitere Möglichkeiten, die Resonanzachse zu stabilisieren: Viele haben sich zu Krankenhausseelsorger/-innen qualifiziert, andere sind in Dekanatsgeschäftsstellen un- tergekommen. Ich war in der Fortbildung und bin jetzt im Bischöflichen Ordinariat tätig. Wir haben alle abgewogen, wo wir unsere Kompetenzen verfei- nern und mit einem gewissen Spielraum einbringen können. Individuell haben viele von uns ihre Berufungsnischen gefunden – an wichtigen kirchlichen Orten und mit wichtigen kirchlichen Funktionen.
Dennoch denke ich, viele von uns, ich eingeschlossen, haben sich in diesen weniger öffentlichen pastoralen Feldern versteckt. Individuell ist das berufungskonform, aber die öffentlich sichtbare Organisation Kirche betreffend haben wir einen Fehler gemacht. Auf der anderen Seite macht wohl auch die Organisation Fehler, wenn sie bestimmte Kompetenzen nicht abruft und eine betreffende Wirksamkeit nicht ermöglicht.
Es ist, wie es ist. Es ist auch nicht weiter schlimm. Die Resonanzkrise der Kirche wäre so oder so eingetreten; und wir können kaum leugnen, dass die Krise unserem Berufungsprozess bzw. unserer beruflichen Resonanzachse zusetzt, zumal zu den gesellschaftlichen Szenarien innerkirchliche hinzukommen.
Vielleicht ist das Berufungskonzept im alten und im neuen Gewand zu individualistisch gedacht. Denn obwohl wir immer von Gemeinschaft reden, solidarisieren wir uns in der Kirchenkrise kaum. Wir reden nicht darüber, dass es schwierig ist, innerlich bei der Berufung zu bleiben, die Resonanzachse bei Misserfolg aufrechtzuerhalten und so weiter. Wir jammern stattdessen und entsolidarisieren uns. Die Berufungen scheinen zu trennen, statt zu verbinden.
Was kann man tun, wenn man sich nach 30, 40 Jahren Kirchenberuf nicht mehr sicher ist, ob die Berufung weiter trägt, ob man überhaupt noch von den Aufgaben innerlich angesprochen ist und sich als wirksam erfährt? Und welches Bild vermitteln wir den frisch Berufenen, wenn wir uns in der Unsicherheit zurückziehen?
Drei Schritte zur (weiteren) Freude am kirchlichen Beruf
Drei Dinge sind mir als Hauptamtliche in der Kirche wichtig:
1. Der Spielraum für Resonanz ist immer größer, als ich denke. Mahatma Gandhi sagt: „Du musst die Veränderung sein, die du in der Welt sehen willst.“ Für „die Veränderung sein, die ich in der Kirche sehen will“, habe ich, haben wir Hauptamtlichen, genügend Spielraum. Die eigene Persönlichkeit ist gefragt, das persönliche, auch spirituelle Potenzial.
2. Ich muss wissen, was ich will. Was will ich und was will ich tun, um für „die neue und nicht für die alte Kirche“ zu arbeiten? Die neue Kirche ist die Kirche mit mehr Resonanzerfahrungen, wo mehr zurückkommt und ich mehr bewirken kann. Das ist ganz geistlich-traditionell. Was zu mehr Leben führt, hat Vorfahrt. Was nur die Kirche im Status quo erhält, bitte zurückfahren, Energie rausnehmen, lassen! Dafür muss ich aber wissen, was ich will. Kriterium dafür ist wiederum die Resonanz. Was mich wirklich angeht und bewegt und wo ich etwas bewegen kann und erfüllt werde, das will ich in Zukunft wollen!
3. Und dann muss ich es tun. Mein Resonanzprogramm heißt schon immer: einfach machen. Und beim Tun, im Umsetzen, zeigt sich, was geht und was nicht geht, wo Resonanz entsteht und wo nicht. Einfach machen – bei mir in einer Mischung aus Ehrgeiz und Naivität. Hauptsache: nicht zu lange warten. Handeln. Resonanz ist und bleibt die Verheißung. Auch mit Ü 50.
Zur Person
Dr. Christiane Bundschuh-Schramm, Pastoralreferentin, promoviert in Pastoraltheologie, seit 2014 Referentin in der Hauptabteilung Pastorale Konzeption, seit 1987 im kirchlichen Dienst.