1. WAS STELLEN SIE SICH UNTER „BERUFUNG“ VOR?
Berufung ist keine „Privatsache“. Am Ende des 2. Weltkrieges war ich gerade 16 Jahre geworden, hatte in der Schulzeit keinen Religionsunterricht, dafür ziemlich genaue Kenntnis über die Konzentrationslager durch meine Familie, ebenso über die Tötung „lebensunwerten“ Lebens in psychiatrischen Einrichtungen. Ich war über den Gulag informiert und hatte in Berlin Flächenbombardements erlebt. Ich hatte zunächst vor, Architekt zu werden. Dann fragte ich mich: Gibt es nicht wichtigere Aufgaben? Ist der geistig-geistliche Aufbau nicht wichtiger? So reifte in den Jahren 1947/48 mein Entschluss, mich zum Theologiestudium zu melden und Priester zu werden. Ich wurde angenommen und gefragt, ob ich in Rom studieren wollte. Privatsache? Nein. Ein Dreiecksverhältnis: Gott, ein rationaler Mensch, die Kirche repräsentiert durch ihre Autoritäten.
2. WELCHES BUCH HAT SIE ZULETZT RICHTIG GEFESSELT ODER ÜBERRASCHT?
Gefesselt oder überrascht nicht, aber sehr interessiert: Akira Iriye und Jürgen Osterhammel (Hg.), Geschichte der Welt. 1945 bis heute. Die globalisierte Welt, 2013.
3. DER THEOLOGE/DIE THEOLOGIN, DIE SIE AM STÄRKSTEN GEPRÄGT ODER FASZINIERT HAT?
Während meines Studiums haben mich am meisten die strikten Vertreter der neu- scholastischen Schultheologie in Rom abgestoßen. Ein erstes Heilmittel bot Karl Barth, in der Präsenzbibliothek im Germanicum, dann Karl Rahner, Schriften und Besuch in Innsbruck, in der Zeit meiner Habilitation dann Bernhard Welte.
4. SIE SIND PRIESTER UND THEOLOGE. WIE GEHÖREN GLAUBE UND WISSENSCHAFT FÜR SIE ZUSAMMEN?
Nur der Mensch als vernünftiges Wesen ist zum Glauben fähig. Wissenschaft ist eine Weise, seine Vernunft zu gebrauchen. So gehören Theologie und Philosophie zusammen. Philosophie steht hier für die Weise, die vielen Einzelwissenschaften im Ganzen und grundsätzlich zu bedenken.
5. SIE WAREN ÜBER JAHRZEHNTE ALS THEOLOGIEPROFESSOR TÄTIG. WELCHE ERKENNTNIS IST IHNEN ÜBER DIESE ZEIT AM WICHTIGSTEN GEWORDEN?
Theologie ist nicht ein Sammelsurium von einzelnen Erkenntnissen, sondern ein geschichtlicher Denkvorgang von grundlegenden Zusammenhängen Gottes und der Welt.
6. WAS WÜNSCHEN SIE SICH FÜR DIE KIRCHE IN DEN NÄCHSTEN JAHREN UND JAHRZEHNTEN?
Die Offenheit gegenüber der Wirklichkeit, zu der das Wort Gottes und der Geist Gottes einladen.
7. ZUM SCHLUSS: WORÜBER KÖNNEN SIE HERZHAFT LACHEN?
Ich lache ziemlich viel. Über mich selbst, wenn ich mich bei irgend einem Blödsinn ertappe, über gute Witze und über alle möglichen Verrücktheiten unserer Zeit.
ZUR PERSON
Peter Hünermann (geb. 1929 in Berlin) war Professor für Dogmatik in Münster und Tübingen. Er studierte Katholische Theologie und Philosophie in Rom und wurde 1955 zum Priester geweiht. 1958 wurde er zum Doktor der Theologie promoviert, die Habilitation folgte 1967. Hünermann engagiert sich seit Jahrzehnten für den akademischen Austausch zwischen Deutschland und Südamerika und gründete bereits 1968 das Stipendienwerk Lateinamerika-Deutsch- land. Auch nach der Emeritierung 1997 ist Hünermann intensiv akademisch tätig; ab 2004 gab er gemeinsam mit Bernd Jochen Hilberath „Herders theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil“ heraus. Hünermann lebt in Rottenburg, wo er auch in der Pastoral mitwirkt.
TEXT: FELIX MAIER (25)