Dass Sonja Zillgen eine theologisch interessierte, offene und herzliche Person ist, habe ich bemerkt, als wir uns nach dem offiziellen Interview-Teil noch kurz persönlich unterhalten haben, und sie mich nach meiner Magisterarbeit gefragt hat. Direkt habe ich mich in die Cafeteria des Theologicums versetzt gefühlt, wo man solche Gespräche mit Freund*innen und Kommiliton* innen führt.

Doch Sonja Zillgen studiert nicht mit mir zusammen, sondern von ihrem Zuhause Nattheim aus, ein „Kuhdorf“, wie sie es nennt. Das ist möglich durch den Bachelorstudiengang „Angewandte Theologie“, den man im Fernstudium in Paderborn studieren kann. Doch wie kommt man dazu, Ü50 nochmal zu studieren? „Also ich bin so das typische Bild von Frau, gut situiert, noch nicht senil, aber auch schon über das Kinderkriegen- Alter hinaus. Da sind viele Leute der Meinung: Die kann sich ja jetzt ehrenamtlich engagieren. Und da greifen halt alle nach dir. Alle freuen sich, wenn man arbeitet, aber am besten man bringt das Geld schon mit.“

Langsam und mit Nachdruck sagt sie: „Ich war wirklich frustriert und habe mich ausgenutzt gefühlt. Ich habe auf meine berufliche Karriere verzichtet, der Kinder wegen, was ich auch jederzeit wieder so tun würde und was ich keine Sekunde bereue. Und als die Kinder alt genug waren, dass ich etwas anderes hätte tun können, wurde meine Mutter zum Pflegefall, da habe ich mich komplett verausgabt. Als ich damit fertig war und die Perspektive sah, die mir die Gesellschaft geboten hat, dachte ich mir: Toll, wenn ich das so weiter mache, gehe ich mit 200 Euro Rente hier raus. Warum? Und da war dann dieser Zorn. Es sind 90 Prozent Frauen, die das betrifft. Irgendwann habe ich das nicht mehr eingesehen. Und dieser Zorn war die Triebfeder, die mich dazu gebracht hat, spontan einen Bachelorstudiengang zu beginnen.“

Dass es dann ein Studium der Theologie geworden ist, kommt bei Sonja nicht von ungefähr. Sie war immer schon in der Kirchengemeinde engagiert und hat bereits berufsbegleitend „Theologie im Fernkurs“ (Würzburg) ausprobiert. Nun, in einer neuen Lebenssituation, die Kinder ausgezogen zum Studieren, die Mutter im örtlichen Pflegeheim und nicht mehr zu Hause, ergeben sich neue Möglichkeiten. Ein Berufseinstieg in ihrem alten Arbeitsfeld der Übersetzerin wäre schwierig geworden, aber dann wurde sie positiv überrascht: „Wenn man an katholische Kirche und Frauen denkt, dann denkt man ja nicht unbedingt daran, dass eine Frau sagt: ‚Da geh ich hin, weil da darf ich sein.‘ Aber mir hat hier niemand gesagt: Erstens, du als Frau und zweitens, du bist ja schon zu alt, sondern ich habe hier wirklich diese Möglichkeit, die ich woanders nicht bekommen habe.“

Und dann erzählt sie davon, was letztlich der „ Anschucker“ war, der sie zu diesem Schritt ins Studium bewegt hat. In einem Gespräch mit einer befreundeten Gemeindereferentin, bei dem es auch um das Ehrenamt und die Rolle der Frau ging, kamen sie auf die hauptamtliche Arbeit in der Kirche zu sprechen. „Sie hat mich ermutigt und zu mir gesagt:

Mach das doch, du kannst das. Da habe ich gemerkt: Das traut mir jemand zu, der vom Fach ist, der mich kennt. Und dann habe ich losgelegt.“ Nach zwei Jahren Grund- und Aufbaukurs bei „Theologie im Fernkurs“ in Würzburg hat sie sich noch näher informiert, Kontakt mit dem Bewerberkreis aufgenommen und bei einem Kurswochenende ein persönliches Gespräch mit Julia Scharla geführt, die für die Ausbildungsbegleitung künftiger Gemeindereferent* innen zuständig ist und damit für die Studienfächer „Angewandte Theologie“, „Praktische Theologie“ und „Religionspädagogik“ in Freiburg, Mainz, Benediktbeuern, Sankt Georgen und Paderborn, sowie für die Fernstudiengänge an den Hochschulen Paderborn, Mainz und Sankt Georgen.

Nach der Coronazeit war dieses Gespräch beim Spaziergang am Neckar der zweite „Anschuckermoment“ und während sie davon erzählt, muss sie lachen und tatsächlich klingt es wie eine unglaubliche Anekdote. „Freitags habe ich mit Frau Scharla gesprochen und Freitag war eigentlich der letzte Tag, wo ich mich in Paderborn hätte einschreiben können. Also eigentlich war es schon zehn nach zwölf. Ich habe dann in Paderborn angerufen und gesagt: ‚Ich würde gerne kommen‘ und die waren super nett. Es wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt und dann ging es hopplahopp.“ Schon am Montag darauf startete nämlich die erste Präsenzwoche in Paderborn.

Dann wird sie kurz nachdenklich und reflektiert: „Vielleicht war es gut, dass es so hopplahopp ging. Wenn ich mir das damals so richtig überlegt hätte, mit knapp 50 nochmal ein Bachelorstudium zu beginnen, weiß ich nicht, ob ich den Mut aufgebracht hätte.“ Aber so ging es am Montag nach erfolgreicher Immatrikulation nach Paderborn und seitdem ist sie am Ball geblieben und bereut ihre Entscheidung nicht, wie sie mehrmals betont.

Das Fernstudium ermöglicht ihr, fast jeden Tag ihre Mutter im Pflegeheim zu besuchen und mit ihrem Mann in Nattheim wohnen bleiben zu können. Der Nachteil: Literatur für Hausarbeiten auftreiben, denn die digitalen Bestände sind noch ausbaufähig. Doch auch im Fernstudium hat sie Kommiliton*innen, sie helfen sich gegenseitig, tauschen nicht nur Literatur, sondern auch Tipps aus, vernetzen sich, zwar nicht in der Cafeteria, aber in WhatsApp. Und außerdem gibt es Präsenzwochen, sodass sie Leute aus den unterschiedlichen Bistümern kennenlernt.

Schade findet sie, dass einige das Fernstudium abgebrochen haben, aber sie kann auch verstehen, dass das Studium neben Beruf und Familie schnell zu viel werden kann. „So ein Bachelorstudiengang ist halt doch kein Sonntagsspaziergang“. Sie hatte großen Respekt vor den Prüfungen und Hausarbeiten, „aber als erstmal die ersten Prüfungen geschafft und die Noten nicht ganz so grottig waren, dann steigt auch das Selbstbewusstsein: Ich kann’s ja noch, obwohl ich alt bin.“

Da sie von der Ausbildungsleitung die Möglichkeit bekommen hat, einen Teil ihres berufspraktischen Jahrs studienbegleitend zu machen, fühlt es sich momentan wie ein duales Studium an, was sie toll findet: „Was ich lerne, kann ich auch sofort anwenden und umgekehrt. Und da der Studiengang ‚ Angewandte Theologie‘ heißt, ist von den Dozierenden gewollt, dass die Studierenden Rückmeldungen aus der Praxis geben: „Das hat gefloppt oder das hat gut geklappt.“

Insgesamt vermittelt sie den Eindruck, dieses Theologiestudium mit Ehrgeiz und großem Interesse anzugehen, aber auch mit einem gelassenen Mindset: „Ich habe ja nichts zu verlieren. Selbst wenn ich es nicht schaffe, dann stehe ich im Prinzip da, wo ich vorher war, nur mit mehr Wissen und Erfahrungen.“ Und an dieser Stelle merke ich als junge Studentin, dass das Alter doch einen Unterschied macht. Zum Beispiel habe ich auch danach gefragt, welches Ziel sie mit dem Studium verfolgt, wo sie damit hinwill, weil ich das aus meiner Perspektive so kenne. Ihre Antwort, gespeist aus Lebenserfahrung, hat mich positiv irritiert: „Ich denke, wenn du sagst: ‚Hier bin ich, wo ich hinwollte, hier ist jetzt Endstation.‘, dann ist wirklich Endstation. Ich möchte mich weiterentwickeln, wo mich das hinführt, wird sich zeigen …“

Sonja Zillgen schaut mit einer bewundernswerten Klarheit auf ihr Leben, sie weiß, was ihre Prioritäten sind, und was sie will. Nächsten Sommer wird sie ihren Abschluss machen und dann folgen das Berufspraktische Jahr und zwei Jahre Assistenzzeit, was sie sehr wichtig findet, denn „so wird man nicht ins kalte Wasser geschmissen.“

Und danach, ab in irgendeine Gemeinde? Wir jungen Studierenden sind ja meistens flexibel, haben noch an keinem Ort Wurzeln geschlagen und wenig familiäre Verpflichtungen. Auch da ist sie ganz klar: „Wenn man mir jetzt sagen würde: ‚Du musst wer weiß wohin umziehen.‘, dann müsste ich leider sagen: ‚Okay, schön war’s, aber dann mache ich das nicht, das geht nicht.‘ Aber ich habe überhaupt nicht den Eindruck, dass das zum Problem werden könnte.“ Und auf meine Schlussfrage, ob sie noch etwas sagen will, was durch meine Fragen nicht abgedeckt worden ist, sagt sie nach einer kurzen Denkpause nur lachend: „Ein Tipp an alle: Mit dem Studentenausweis gibt es meistens nur bis 30 Rabatt. Also dafür rentiert sich’s nicht.“

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VALERIE STENZEL (25)