Wer heute an den heiligen Martin denkt, dem kommen wohl zuerst ein Bettler im Schnee, ein halbierter Mantel, ein Reiter oder auch Laternen mit Sonne, Mond und Sternen in den Sinn. Der heilige Martin bietet aber noch viel mehr als die beliebten Martinsumzüge vermuten lassen – er ist ein unwahrscheinlich aktueller Heiliger, ein wahrer Saint today.

Und das zum einen natürlich als „Saint for today“, als geistliches Vorbild für heute. Schon die Mantelteilung zeigt das: Martin teilt mit dem Bettler den Mantel und im Gebet bekommt er den halben Mantel mit Zinsen zurück, denn Gott begegnet ihm und dankt ihm mit seiner Liebe. Daraus wächst in Martin neu die Motivation zur Weitergabe dieser göttlichen Liebe an andere, gerade an die Armen. In diesen Kreislauf der Liebe immer neu im Alltag einzusteigen, den Bettler an der Straße zu sehen und im Gebet spüren dürfen, dass ER es war – für mich als Priester ist Martin darin ein großes Vorbild.

Aber die Mantelteilung ist nur der Anfang. Martin wird Mönch und es folgt für ihn die Katastrophe: Er wird zum Bischof gewählt. Weil er genau weiß, dass die Welt, in der man als Bischof lebt, einen ganz schön vom Gebet abhalten kann, schafft er sich kreativ Strukturen, die sein Gebetsleben schützen. Konkret: Er gründet ein ganzes Kloster dafür. Und fragt mich damit an: „Welche Strukturen schaffst du dir, dass in deinem stressigen Alltag deine Beziehung mit Gott nicht leidet?“

Aus dem Gebet heraus ereignet sich dann Wunderbares rund um Martin: Er bewegt Schwerstkriminelle zur Umkehr, die in Esoterik und Naturreligion lebenden Menschen seiner Zeit führt er in Scharen zu Christus. Er legt sich mit den Mächtigen seiner Zeit an. Er heilt Kranke und weckt sogar Tote auf. Nicht, weil er es kann. Weil er es Gott zutraut und zulässt, dass Gott all das durch ihn vollbringt. Und er stellt mir damit die provokante Frage: „Was traust du deinem Gott zu? Wo glaubst du überall, dass du alles selber machen musst? Bist du geistlich offen und durch Gebet bereit dazu, dass ER durch dich handelt, so, dass du es selbst nicht glauben kannst?“

All das reicht aber noch nicht. Martin ist für mich nicht nur „Saint for today“, er ist „Saint today“, „Heiliger im Hier und Heute“. Er ist da. Er hilft mir kaum merklich und absolut diskret, aber sehr zuverlässig, wenn ich ihn anrufe: „Heiliger Martin, jetzt hilf mir mal, ist ja schließlich auch deine Diözese!“ Ganz konkret hilft er als Profi im pastoralen Alltag mit und steht mir als Experte auf dem inneren Weg zu Gott in meinen geistlichen Gehversuchen stützend zur Seite. Und als Fürsprecher räumt er auch manchen Felsbrocken auf dem Weg zu Gott aus dem Weg. Ich freue mich schon darauf, ihn dann hoffentlich im Himmel face to face kennenzulernen. Vielleicht wartet er ja sogar schon vor der Himmelstür auf mich. Martin, ein Saint today, klingt unglaublich, ist es auch. Ein unglaubliches Geschenk.

 

Text: Michael Schönball (28), Vikar in Ulm-Wiblingen