Die vor rund 1.500 Jahren verfasste Regel des hl. Benedikt von Nursia ist heute noch lebendig. Sr. Angelika Bott (35) lebt nach dieser Regel und zwar im Kloster Kellenried bei Ravensburg. Für „berufen“ gibt sie einen Einblick in die Tagesstruktur ihres Ordens und erzählt, was sie an der benediktinischen Liturgie fasziniert.

Es herrscht Stille. In die Ruhe des Gebetsraumes treten durch eine kleine Seitentür weitere Ordensschwestern ein. Sr. Angelika ist eine von ihnen. Sie setzen sich in zwei gegenüber-liegenden Stuhlreihen auf ihren Platz, zur Mittags-hore. Die Kirchturmglocken läuten 12 Uhr. Die Ordensschwestern beginnen mit einstimmigen Psalmengesängen im Wechsel. Wir blättern hastig indem vereinfachten Stundenbuch für Gäste. Trotz der Tatsache, dass Sr. Angelika uns zuvor eine kurze Einführung gegeben hat, sind wir unsicher, auf welcher Seite wir uns befinden. Auch die Melodien klingen für uns zunächst ungewohnt, nach einigen Wiederholungen jedoch immer vertrauter und zum Schluss der Mittagshore bereits angenehm. Uns fällt auf, dass der Blumenschmuck an den liturgischen Farben orientiert ist.

Die Stundenliturgie ist die Mitte benediktinischen Lebens und ihr ganz besonderes Charisma. Die Benediktinerinnen gelten als kontemplativ-monastischer Orden, in dem das Gebet höchste Priorität hat. Die Arbeit und die geistliche Lesung umrahmen die Gebetszeiten zeitlich.

Sr. Angelika ist eigentlich ausgebildete Gymnasiallehrerin für Katholische Religion und Deutsch. Für sie ist es ein großes Geschenk, dass sie jetzt auch im Kloster jungen Menschen liturgische Inhalte vermitteln und ans Herz legen kann. Die Ordensfrau arbeitet mit Jugendlichen, aber auch mit Studenten und jungen Erwachsenen und setzt dabei bewusst einen katechetisch-liturgischen Schwerpunkt: „Es ist das eine, eine gute Erfahrung im Zeltlager zu machen und mit anderen Jugendlichen am Lagerfeuer gesessen zu haben und das in einem christlichen Umfeld, aber es ist etwas anderes, wirklich etwas dabei gelernt zu haben. Ich kenne Leute in meinem Alter, die aus der Kirche ausgetreten sind. Die erzählen alle von ihren guten Erfahrungen, die sie als Jugendliche in christlichen Kreisen gemacht haben. Das reicht aber offensichtlich nicht aus. Es geht vielmehr darum, wie ich meinen Glauben lebe, wenn ich allein bin, wie er mir in einsamen Stunden hilft, in Verzweiflung und in innerer Leere oder in Hektik und Stress. Das ist das, wo die Tragfähigkeit des Glaubensüberprüft wird. Und dazu braucht es eben auch Glaubensinhalte und die eigene Auseinandersetzung damit.“ Das Stundengebet gibt dem Aufenthalt der jungen Gäste im Kloster Struktur. Neben Spiel und Spaß, Mithilfe bei der Apfelernte oder bei Holzarbeiten im Wald zähle auch, dass es immer irgendwie um Liturgie und Bibel ginge, natürlich für die Jugend aufbereitet, so Sr. Angelika. Man merkt, dass sie sehr gerne Lehrerin war. Doch das Leben im Kloster ist ihre Berufung. Sie hat ihren Traumberuf aufgegeben, um dem Ruf Gottes in das geistliche Leben zu folgen. „Ich kann nicht gleichzeitig in der Schule und um 12 Uhr hier zum Mittagsgebet sein. Und ich kann nicht als Deutschlehrerin abends Klausuren korrigieren, weil es dann mein Auftrag ist, mit der Gemeinschaft die Vigil zu beten. Das geht einfach nicht zusammen mit der Gebets-dimension, für die wir uns entschieden haben und die nach Benedikt für uns das Wichtigste ist.“

 „Meine Lebensform ist ein sichtbares Glaubenszeugnis“

Für sie hat ihr benediktinisches Leben auch an sich einen Mehrwert: „Allein mein Auftreten im Ordenskleid ist ein Glaubenszeugnis. Dadurch habe ich oft einen Vertrauensvorschuss. Jugendliche kommen zu mir viel offener mit ihren ganz persönlichen Fragen.“ Heute ist ein ruhiger Tag, aber am Abend reisen zwei Kurse an. „Dann ist das Haus wiederproppenvoll“, freut sich Sr. Angelika. Sie beschreibt sich selbst als Alltagstyp, der gerne seine Arbeit macht, etwas vorwärtsbringen möchte und immer wieder verschiedene Projekte in Angriff nimmt. Gleichzeitig empfindet Sr. Angelika die Ruhe der Gebetszeiten als heilsam: „Da habe ich diese Ruhe, die Stille und das Durchatmen. Es ist eine heilende Erfahrung des neu Ausgerichtet-Seins und des Relativierens. Ich merke, dass ich so wichtig gar nicht bin und so tolle Projekte gar nicht mache. Worauf es eigentlich ankommt in meinem Leben, ist etwas anderes.“ Sie lebt in der Spannung, eine junge Frau zu sein, die mit Kraft etwas aufbauen will und gleichzeitig permanent Rückbesinnung hält, dass Gott der Herr ihres Lebens ist und sie nicht selbst alles machen kann und muss.

 „Man braucht eine Berufung zum Gebet“

Das Gebet und die stillen Zeiten waren für Sr. Angelika ein Hauptgrund, sich für die Benediktinerinnen zu entscheiden. Sie fühlt sich zur benediktinischen Liturgie berufen, sagt sie und grenzt diese Form klösterlichen Lebens klar von anderen, sogenannten „tätigen Orden“ ab. „Es muss eine liturgische Berufung da sein, sonst ist ein benediktinisches Leben nichtdenkbar. Es gibt einen Unterschied, in einen tätigen Orden einzutreten, in dem man sich zu pastoralen, erzieherischen oder sozial-karitativen Aufgaben berufen fühlt, oder in einen kontemplativ-monastischen Orden, in dem das stellvertretende Gebet an erster Stelle steht“, so Sr. Angelika. Das Vertiefen und Verstehen der Gebetstheologie ist dabei sehr wichtig: „Wenn ich dreieinhalb Stunden am Tag für die Anliegen der Welt und der Kirche bete und gleichzeitig jeden Tag durch die Zeitungen und Nachrichtenmitbekomme, dass Gott scheinbar nicht eingreift, dann komme ich schnell in eine Sinnkrise. Ich muss mir klar machen, dass ich alles vor Gott bringen kann, aber dass er der Herr über das Leben ist. Das Vaterunser hilft uns weiter. Dort beten wir: „Dein Wille geschehe.“ Beten ist kein Wunschkonzert und Gott kein Automat, in den man Gebetsbitten hineinwirft und unten kommt die Erhörung heraus.“ Das Faszinierende für die junge Schwester ist außerdem die Gemeinschaft, die durch das Beten entsteht: „Wenn man die ganze benediktinische Familie weltweit zusammennimmt, dann betet aufgrund der verschiedenen Zeitzonen zu jeder Zeit am Tag irgendjemand Stundengebet. Das kann nie eine Gemeinschaft allein.“

„Diese Erfahrung hat sich tief in mich hineingelegt“

Dass die Liturgie für sie ein Herzensanliegen ist, war bei der Suche nach ihrer Berufung zur Ordensschwester wegweisend. Dadurch fand sie die für sie richtige Gemeinschaft. Schon als 14-Jährige vertiefte sie sich erstmals in die Ordensregel des hl. Benedikt von Nursia. Die Begeisterung für die benediktinische Lebensform wurde sogar schon in ihrer Kindheit geweckt. Sr. Angelika erinnert sich dabei an ihre Besuche der Benediktinerabtei Ottobeuren in Bayern. „Wenn die Mönche abends in ihren schwarzen Gewändern in die Dunkelheit schritten, hat sich das so tief in mich hineingelegt, dass mir immer irgendwie klar war: Das fasziniert mich – diese Klosterkirchen, diese Liturgie, diese Gesänge, dieses tief geistliche und liturgisch so Reichhaltige, auch von der Sprache her. Das habe ich als Kind schon wahrgenommen.“

Die benediktinische Liturgie spiegelt sich auch in der Klosterkirche Kellenrieds wieder, in der die Schwestern so regelmäßig beten. Sie ist ein Ort, der Sr. Angelika besonders lieb ist. Die rechtwinklige Architektur um den Altarraum und die Abgrenzung des Nonnenchores sind in der Zeit, in der das Kloster gegründet wurde, typisch für einen benediktinischen Kirchenbau, erklärt sie. Der hellgelbe Raum mit dezent rahmenden, floralen Motiven ist eine stete Erinnerung an den Schöpfergott, der alles und alle geschaffen hat. Sr. Angelika erzählt angetan vom Farbenspiel der Onyxfenster. „Die Kirche muss zu einem passen. Das ist auch ganz wesentlich für den Entscheidungsprozess, an welchen Ort man sich gestellt fühlt. Es ist der Ort im Gesamten sowie die Gemeinschaft als Ganze, mit der ich mich von Anfang an identifiziert habe.“

Momentan ist sie noch die jüngste Mitschwester in der Runde der benediktinischen Ordensschwestern von Kellenried. Bei einem Altersdurchschnitt von ca.72 Jahren kann sie nicht sagen, wie es in zehn oderfünfzehn Jahren für sie aussieht, ob ihre Gemeinschaft noch an ihrem Standort sein wird. Ruhig und vertrauensvoll lässt sie die Zukunft aber auf sich zu-kommen. „Es ist eine andere Eintrittsentscheidung im Blick auf die Zukunftsperspektive als früher. Deswegen ist es notwendig, miteinander in der Gemeinschaft im Gespräch zu bleiben, um voneinander zu wissen, wie man sich selbst und das klösterliche Leben versteht.“ Sr. Angelika ist sich sicher, dass sie für sich den richtigen Weg gewählt hat – ein Leben nach der Regel des hl. Benedikt in der Klostergemeinschaft von Kellenried.

TEXT: JUDITH SCHMEREK (20) UND JOHANNA HIRSCHBERGER (22)