Sie waren Kommilitoninnen im Theologiestudium und haben schon damals unterschiedliche Auffassungen vertreten. Heute arbeitet Alina Oehler als Publizistin und Beraterin, Susanne Grimbacher als Pastoralreferentin. Wie sehen zwei junge Frauen den Zustand der Kirche? Was muss sich ändern? Was nicht?

Ihr arbeitet beide als junge Frauen für die Kirche. Was beschäftigt euch denn gerade am meisten?

GRIMBACHER: Mich beschäftigt gerade, dass ich mich mit sehr vielen Menschen unterhalte, denen der Glaube an Gott superwichtig ist, aber die massiv mit der Kirche als Institution hadern. Wie wir in der Pastoral mit Menschen umgehen sollen, die da einen großen Bruch spüren, darüber denke ich viel nach.

OEHLER: Mich beschäftigt jeden Sonntag, dass ich in den Kirchenbänken keine Menschen meiner Generation mehr sehe. Für mich als Publizistin ist die spannende Frage, wie wir es schaffen können, kirchliche Inhalte an eine breite Masse zu bringen, an Menschen unter 40. In diese Richtung geht auch meine Beratung kirchlicher Institutionen, indem ich sie ermutige Inhalte anders aufzubereiten und diese Zielgruppe verschärft in den Blick zu nehmen. Die Frage warum sind sie weg und wie kommen sie wieder zurück – oder wie kommen sie überhaupt in Kontakt mit Kirche beschäftigt mich dabei sehr stark.

Wie würdet ihr den derzeitigen Zustand der Kirche beschreiben?

GRIMBACHER: Mir tut es richtig weh, wenn ich sehe, wie viele Menschen in der Kirche es nicht auf die Reihe bekommen, miteinander zu reden. Schön finde ich aber andererseits, dass ein Großteil der Katholik/inn/en in Deutschland wirklich das Bedürfnis hat, ihre Kirche mitzugestalten – mit vielen Ideen, und dabei Themen setzt und selbstbewusst Dinge einfordert.

OEHLER: Dass sich die katholische Kirche in Deutschland in einer Krise befindet, kann man nicht leugnen. Spätestens durch die Missbrauchsfälle stellt sich die Vertrauensfrage noch mal in einer ganz anderen Deutlichkeit. Aber ich glaube, dass in diesen ganzen Reformprozessen, die jetzt angestoßen werden, ein Problem liegt. Die Strukturfragen stehen zu sehr im Vordergrund. Während meiner Jugend war ich in einer Jugendpartei und vieles, was gerade passiert, erinnert mich an politische Diskussionen, aber die Kirche ist etwas ganz anderes als eine politische Organisation. Sie steht in Gefahr, ihr Kerngeschäft zu vernachlässigen, indem sie jetzt an dem institutionellen Gebäude rumdoktert.

Worin besteht das Kerngeschäft?

OEHLER: Für mich ist das Kerngeschäft, die Menschen in Kontakt mit Gott zu bringen. Wie oft geht es uns heute um Strukturen und wie oft um Gott? Man stellt hierzulande gerne Forderungen auf, welche die deutsche Kirche allein nicht einlösen kann. Priesterinnen zum Beispiel gehen nicht ohne Rom, es sei denn es gibt eine Spaltung.

GRIMBACHER: Da stimme ich dir zu. Ich glaube jedoch, dass Struktur und Inhalt gleich wichtig sind. Wieso müssen wir uns denn entscheiden? Wenn wir sagen, dass wir inhaltlich stärker sein wollen, wieso können wir dann nicht gleichzeitig auch unsere Strukturen anpassen? Vielleicht geht es jetzt in die Richtung „Störungen haben Vorrang“. Wenn mich die Strukturstört, muss ich diese zuerst angehen, um mich dann wieder meinem eigentlichen Kerngeschäft widmen zu können.

Was sind eure Erwartungen an den Synodalen Weg?

OEHLER: Es muss am Ende auf jedenFall etwas Verbindliches entschieden werden. Es kostet Zeit und Geld– Kirchensteuergelder – und es entstehen schöne Papiere. Wenn amEnde aber nichts passiert, fühlt sichdie Öffentlichkeit natürlich nichternst genommen. Und ich erhoffemir vom synodalen Weg, dass es eingeistlicher Prozess wird.

GRIMBACHER: Ich finde, die vier Themen sind sehr gut gewählt. Ich erwarte, dass handfeste und klare Forderungen formuliert werden und Veränderungen passieren können. Veränderungen in den Bereichen, in denen Deutschland selbst etwas ändern kann, und ganz klare Forderungen in Richtung Weltkirche, wo wir nichts allein tun können. Ich wünsche mir zudem, dass es ein Miteinanderstreiten um Positionen wird.
Alina, du sprichst dich immer wieder für ein neues Bewusstsein für Liturgie und gleichzeitig für traditionelle Formen aus. Ist das deine Vorstellung von Reform: Der Schritt zurück, um daraus Reformen fürmorgen zu finden?

OEHLER: Ich glaube, dass man von alten Formen sehr viel lernen kann und dass die Kirche in der Liturgie heute zu verweltlicht agiert. Wir feiern heute oft eine am Schreibtisch entworfene Liturgie. Die alten Formen sind etwas Organisches, das sich über Jahrhunderte ausgeprägt hat. Sie sind reich an Stille und transzendieren. Das spürt man.

„Am Schreibtisch entworfene Liturgie“ – Susanne, fühlst du dich angesprochen?

GRIMBACHER: Also ich verstehe den Punkt, dass alte Formen eine andere Form des Betens sind und dieser Punkt ist ganz wichtig. Warum funktioniert Taizé? Weil es ein Ort mit viel Ruhe, Stille und Gebet ist. Ganz anders als unsere Sonntagsgottesdienste. Ich merke auch für mich persönlich, dass die schönsten Gottesdienste diejenigen sind, in denen ich mal ein paar Minuten für mich habe. Was die „Schreibtisch-Liturgie“ angeht: Ich denke, das hat viel mit Sprache zu tun. Ein kluger Mann sagte mal: „Speak in your own voice.“ Das ist genau der Grund, warum unsere Liturgie oft nicht funktioniert: Die Feiernden sprechen nicht ihre eigene Sprache, sprechen nicht mit ihrer eigenen Stimme, sondern benutzen einen anderen Sprechduktus, der im Alltag nicht vorkommt. Und oft sind Gebete in einer Sprache formuliert, sodass sie einfach nicht verstanden werden. Es gibt, glaube ich, zwei Möglichkeiten: So weit weg von den Menschen, dass es transzendiert, oder so nah dran, dass es bei den Menschen ankommt. Unsere Gottesdienste bleiben oft genau dazwischen hängen.

OEHLER: Für mich geht es gerade um eine Abkehr vom Alltag, um Verehrung und Anbetung im Gottesdienst. Das Mysterium Gott muss für mich in der Liturgie erfahrbar sein. Das feste Ritual, die immergleichen Gebete und Lieder, wie die Psalmen oder der Choral, bieten für mich den richtigen Rahmen. Hinter ihnen können die Menschen zurücktreten.

GRIMBACHER: Du sprichst hauptsächlich von Anbetung, ich spreche hauptsächlich von einem Beziehungsgeschehen. Und ich glaube, das sind unterschiedliche Paradigmen. Beziehungsgeschehen heißt für mich aber auch mit selbst formulierten Texten arbeiten. Dann ist es authentisch – und das merken die Menschen.

Die Frage nach dem Frauenpriestertum sei eine theoretische Frage, die für viele Frauen eine untergeordnete Bedeutung habe, schrieb Alina in einem Artikel für die Herder Korrespondenz. Susanne, würdest du dem zustimmen?

GRIMBACHER: Dass es für 90% der Frauen keine primäre oder akute lebenspraktische Bedeutung hat, dem stimme ich vollkommen zu. Ichglaube, dass es sehr wenige Frauengibt, also prozentual gesehen, für die sich in ihrem Leben tatsächlich etwas ändern würde, wenn Frauen Priesterinnen werden dürften. Ich glaube aber auch, dass es auf der sekundären Ebene sehr wohl eine hohe lebenspraktische Bedeutung hat, weil es um eine Vorbildfunktion geht. Und ich glaube tatsächlich, dass es für viele Frauen eine Möglichkeit ist, sich noch mal anders in den Gottesdienst einzufinden, wenn sie sich mit der Person, welche die Liturgie feiert, identifizieren können. Ich glaube, dass sich ein Großteil der Frauen eher mit weiblichen Vorbildern und sich ein Großteil der Männer eher mit männlichen Vorbildern identifizieren kann. Ganz abgesehen von den theologischen Gründen, die dafür sprechen würden.

OEHLER: Es würde helfen, nicht alle Entscheidungskompetenzen an die Weihe zu binden.

GRIMBACHER:Es ist die machtpolitische Frage, worauf du abzielst. Da bin ich ganz bei dir. Es ist wichtig, von diesem klerikalen Machtdenken wegzukommen. Nur weil man auf dem Boden lag und einem jemand die Hände aufgelegt hat, ist man noch keine Führungspersönlichkeit.

OEHLER: Für die Trennung von Amt und Weihe gibt es in der Tradition ja auch einen Anhaltspunkt. Vordem Zweiten Vatikanum wurden Entscheidungsgewalten nicht immer an die Weihe gebunden, so wie wir es heute kennen – meine Lieblingsbeispiele dafür sind die Äbtissinnen, und ich bin Hubert Wolfdankbar dafür, dass er das so gut erforscht hat.

GRIMBACHER: Das finde ich super, genau das ist es, was wir auf der machtpolitischen Seite brauchen. Ichglaube nur, dass es aus folgendem Grund noch einen Unterschied auf der liturgischen Ebene gibt: Die meisten bekommen doch wenig davon mit, wer welche Rechte hat und wie viele Hauptabteilungen von Frauen besetzt sind. Was die meisten mitbekommen ist, wer der Liturgie vorstehen darf und wer nicht. Das ist das öffentliche Gesicht von Kirche und genau in diesem Identifizierungsprozess ist es durchaus relevant, dass Frauen aus diesem Bereich nicht ausgeklammert werden.

Jede von euch hat einen Wunsch beim Papst frei. Welcher wäre es?

OEHLER: Ich würde mir eine Synode zur Frauenfragewünschen.

GRIMBACHER: Ich habe keinen Wunsch an den Papst, aber an die Kirche: Dass wir vielfältig sind und bleiben und vielfältiger werden und uns so sein lassen können, wie wir sind.

Was nehmt ihr aus dem Gespräch mit?

OEHLER: Susannes Wunsch ist in unserem Gespräch schon ein kleines Stück Wirklichkeit geworden, finde ich. Wir denken unterschiedlich, können uns aber in Respekt, Liebe, Achtung und im Glauben begegnen, ohne uns an die Gurgel zu gehen. Das wünsche ich mir, dass das zur Normalität wird.

GRIMBACHER: Mir tut es sehr gut, meine eigene Position immer wieder hinterfragen zu lassen, auch bei emotionalen Themen. Emotionen sind immer Energie und das ist etwas, das verändert. Ich bin Fan von Energie und Emotionalität, weil es an den Kern der Sache geht, und in diesem Zug fair und emotional gleichzeitig zu sein ist richtig schwer, aber es hinzubekommen ist superschön. Diese schöne Erfahrung nehme ich mit.

TEXT: DANIEL KÖSTLINGER (30)