Als Sebin Joseph (24) und Joji Joseph (24) am 6. Dezember 2017 in Deutschland ankommen, sind sie sofort mit einer anderen Kultur und einer fremden Sprache konfrontiert. Die zwei indischen Seminaristen aus Kerala besuchen als erste Teilnehmer einer neuen Kooperation zuerst das Ambrosianum, um dann in Tübingen Theologie zu studieren und später in Deutschland Priester zu sein. Im Interview sprechen sie über den Schrecken des Brotes und andere Kulturschocks – und erzählen, was sie mittlerweile an Deutschland zu schätzen gelernt haben.
Wie kam es, dass ihr in Deutschland studiert?
JOJI: Es gibt ein Projekt, eine Kooperation, zwischen unserer Diözese, die Tellicherry heißt, und der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Wir haben seit letztem Jahr einen Vertrag, das bedeutet, wir studieren hier in Tübingen Theologie und arbeiten danach gleich in Deutschland, fünf bis zehn Jahre, das hängt von der Entscheidung des Bischofs ab.
SEBIN: Genau, wir sind jetzt die ersten Priesteramtskandidaten, das ist ein Experiment. In Deutschland arbeiten zwar schon einige indische Priester aus unserem Bundesstaat, Kerala, aber wir sind die ersten, die ihre Ausbildung in Deutschland machen.
Was ist das Ziel der Kooperation?
SEBIN: Wenn man gerade erst in Deutschland angekommen ist, hat man oft noch Probleme mit der deutschen Sprache und Kultur. Dadurch, dass wir schon unsere Ausbildung hier absolvieren, können wir die Kultur schon vorab erleben und die Sprache richtig kennen lernen. Das hilft uns später als Priester, gerade in der Seelsorge. Das ist das primäre Ziel.
JOJI: Dafür müssen wir jetzt ein bisschen mehr arbeiten als unsere deutschen Kollegen.
Wie sieht die Priesterausbildung in Indien aus?
JOJI: In Indien dauert unsere Ausbildung 12 Jahre! Zuerst studiert man drei Jahre in einem kleinen Seminar, dann wechselt man auf ein sogenanntes Major-Seminar, das dann nicht mehr zur Diözese, sondern zur Bischofssynode gehört. Hier studiert man drei Jahre lang Philosophie, anschließend folgt ein einjähriges Praktikum und erst dann beginnt man das tatsächliche Theologiestudium. Sebin und ich haben an unterschiedlichen Seminaren Philosophie studiert, dort wo ich war, gab es mehr als 150 Priesteramtskandidaten.
SEBIN: Bei mir waren es mehr als 250! Das ist einer der größten Unterschiede gegenüber Deutschland, in Tübingen sind wir weniger als 20.
JOJI: Von unseren indischen Kurskollegen unterscheidet uns außerdem, dass sie im Jahr 2020 geweiht werden. Wir werden da gerade erst unser Theologiestudium beginnen.
Wenn wir gerade schon von Unterschieden sprechen: Was sind für euch die größten Unterschiede zwischen der indischen und der deutschen Kultur?
SEBIN: Das Essen.
JOJI: Ja, genau! Das Brot, das es hier zum Frühstück gibt, isst man in Indien nur, wenn man krank ist. Wenn ich meine Eltern anrufe, fragen sie immer bestürzt: „Gab es heute auch Brot?“ (beide lachen)
… und in Bezug auf die Rolle des Priesters und den Glauben?
JOJI: Als Priester werden wir zum Beispiel nicht so viel direkt mit den Menschen agieren können, wie wir es aus Indien gewohnt sind. Dort ist es Brauch, dass der Priester mehrmals im Jahr jede Familie besucht, das kündigt er einfach davor in der Kirche an. Bei dem Besuch wird zusammen gebetet und gegessen. Ich glaube, in Deutschland sind solche Besuche nicht üblich.
SEBIN: Außerdem hat der Priester eine ganz andere Stellung als in Deutschland. Er ist eine sehr respektierte Person, auch Leute aus den anderen Religionen, zum Beispiel aus dem Islam oder dem Hinduismus, stehen auf, wenn er den Raum betritt.
Welchen Eindruck habt ihr vom Zusammenleben der Religionen in Indien?
SEBIN: In Indien gibt es insgesamt nur drei Prozent Katholiken, achtzig Prozent der Bevölkerung ist hinduistisch. Aber in meinem Bundesland gibt es siebzehn Prozent Katholiken. Zwar gibt es im Norden einige Problemgegenden, aber generell leben die Religionen sehr friedlich miteinander, wir leben ja in einer gemeinsamen Kultur zusammen.
JOJI: Ja genau. Das Motto bei uns lautet: Einheit in Vielfalt. Wir feiern zum Beispiel viele religiöse Feste zusammen. Sogar im Priesterseminar werden einige hinduistische Feste begangen, und Weihnachten wird von den Muslimen und Hindus in unsrer Gegend mitgefeiert, zum Teil haben sie sogar eine Krippe!
Und wie sieht es innerhalb des Christentums aus?
JOJI: Im Major-Seminar werden verschiedene Riten in verschiedenen Sprachen zelebriert. Deswegen kennen wir die lateinische Messe, wie sie in Deutschland überwiegend gefeiert wird, auch wenn wir im syro-malabarischen Ritus aufgewachsen sind. Religiöse Bildung ist bei uns sehr zentral. Wir sind eine Minderheit in unserem Land, aber trotzdem ist der Glaube sehr stark. Während der Schulzeit gehen wir jeden Sonntag zur Katechese, und jeder muss diesen Unterricht besuchen. Dreimal im Jahr gibt es dazu Prüfungen, die man bestehen muss. Das ist eine große Sache, denn sonst kann man zum Beispiel nicht kirchlich heiraten.
Uns in Deutschland kommt das ja eher fremd vor – gibt es etwas, das euch hier auch zuerst sehr fremd vorkam, in der Zwischenzeit aber wichtig geworden ist?
SEBIN: Mir ist die Freiheit hier aufgefallen, die finde ich sehr schön. In Indien ist es beispielsweise immer noch gängig, dass die Eltern darüber entscheiden, wen ihr Sohn heiratet. Und ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass wir hier im Seminar sehr frei leben: Wir haben in unserem ganzen Leben noch nicht gekocht, aber hier können wir jetzt allein einkaufen und kochen. Wir haben gelernt, wie man mit Geld umgeht und wie man ein neues Leben gestalten kann. In dieser Freiheit lernt man auch, selbstständig zu sein, das ist gut.
JOJI: Ich habe auch viel von der deutschen Kultur gelernt, gerade im Bezug darauf, die Freiheit der anderen zu respektieren.
Vielen Dank!
Das Gespräch führten: Elisabeth Böckler (21) und Johanna Hirschberger (20)