Mehr als Optimismus

Kurz war ich irritiert. Ist der heilige Michael dieselbe Person wie der Erzengel Michael? Sind Heilige nicht immer Menschen? Kann ein Papst einen Erzengel heiligsprechen? Kurioser Casus! Nach einer kurzen Internet-Recherche bin ich schlauer: Der Erzengel ist auch der heilige Michael und taugt somit für die Saints-Today-Rubrik.
Aus der Kunst ist uns Michael bekannt als Seelen-wäger beim Jüngsten Gericht oder als derjenige, der Adam und Eva mit dem Flammenschwert aus dem Paradies vertreibt. Mit diesem Michael kann ich persönlich nicht viel anfangen. Warum habe ich ihn dennoch ausgewählt? Wegen den Statuen und Bildern, die den Erzengel zeigen, wie er den Satan mit dem Schwert durchbohrt und ihn aus dem Himmel stürzt. Michael als Sieger über das Böse steigt dem Drachen auf die Brust. So ist er leicht mit dem heiligen Georg zu verwechseln. Doch statt eines Menschen findet man in diesen Darstellungen ein Flügelwesen vor. Michael steht auf der ontologischen Hierarchieleiter eine Sprosse höher, worum es bei ihm geht, ist existenzieller: Das Gute siegt über das Böse. Die Liebe besiegt den Tod. Das Licht verscheucht das Dunkel. Gott macht den Satan machtlos. Das mag sehr pathetisch oder archaisch klingen, es mag einen dualistischen Drive haben und die Darstellung des Erzengels im Harnisch mag recht martialisch sein. Das tut dem keinen Abbruch, dass ich es symbolisch als sehr kraftvoll erlebe, so wie die Kerzen in der Osternacht, die das Dunkel vertreiben.
Zu glauben, dass der Tod nicht das letzte Wort hat und dass das hämische Grinsen des Bösen nicht für die Ewigkeit ist, das gehört für mich wesentlich zum christlichen Glauben dazu. An Gott zu glauben, heißt auch, den Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren. Dass die endlosen Kriege, das sinnlose Leid, die Zerstörungen der Umwelt … nicht die Oberhand gewinnen, sondern am spitzen Ende von Michaels Schwert zu liegen kommen.
Vertröstet das nur? Geht dieser Optimismus an der Realität vorbei? Nimmt man so das fremde Leid nicht ernst? Hat man nicht zu oft das Gefühl, dass der umweltbewusste Einkauf, Friedensbemühungen, Hilfswerke … nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind? Dann ist aber die Einstellung nicht fern: „Bringt doch eh nichts. Hat doch keinen Sinn.“ Ich glaube, dass das Gute siegt. Ich weiß zwar nicht wie und wann, aber ich glaube, dass.
Statt resigniert und untröstlich die Hände in den Schoß zu legen, den Dingen ihren trostlosen Lauf zu lassen und auch statt nur vertröstet zu sein, bin ich getröstet von Verzagtheit und bin motiviert, weiter an das Gute zu glauben und selbst Gutes zu tun.
Ich sehe das Bild der Erzengels Michael an und stelle fest: Mein Glaube ist mehr als ein Optimismus à la: „Das Glas ist halb voll.“, denn „Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, übervoll ist mein Becher.“ (Ps 23,5)

TEXT: VALERIE STENZEL (23)