Zuerst auf das Gewissen und dann auf den Papst!“ Auf den ersten Blick würde man wohl kaum vermuten, dass dieser Trinkspruch von einem Kardinal des 19. Jahrhunderts überliefert ist. John Henry Newman, geboren 1801 in London, erhielt die Kardinalswürde ohnehin eher überraschend und spät, mit fast 80 Jahren, am Ende eines bewegten Lebens. Newman gehörte der Anglikanischen Kirche an, studierte am Trinity College in Oxford und wurde mit 24 Jahren zum anglikanischen Priester ordiniert. Nach akademischen Lehrtätigkeiten und Jahren des intensiven Ringens mit dem eigenen Glauben und der Theologie konvertierte Newman 1845 zur Katholischen Kirche und wurde katholischer Priester.

In Newmans reichem Werk stechen immer wieder sein starkes Vertrauen auf die Führung Gottes im eigenen Leben sowie sein dynamisches, lebendiges Verständnis des Glaubens hervor. Dieses Verständnis bescherte ihm manchen Ärger; von römischen Höflingen wurde er gar als der „gefährlichste Mann in England“ gebrandmarkt. Sein geistliches Motto „Ich selbst und mein Schöpfer“ drückt eine innige Gottesbeziehung aus, die um die eigene Einzigartigkeit als Gottesgeschöpf weiß. So schrieb Newman einmal: „Ich bin berufen, etwas zu tun oder zu sein, wofür kein anderer berufen ist. Ich habe einen Platz in Gottes Plan, auf Gottes Erde, den kein anderer hat.“ Dass diese Verse für Newman nicht bloß fromme Poesie waren, beweist ein Tagebucheintrag. Er hatte eine neue Stelle angetreten und schrieb in diesem neuen, völlig unbekannten Umfeld: „Viel ausgestanden – langsam dem Guten und Heiligen nähergekommen und blindlinks von der Hand Gottes geleitet, ohne zu wissen, wohin Er mich führen werde.“
Während sich andere Geistliche von ihren Pflichten in der Pfarrei zugunsten von repräsentativen Tätigkeiten in Politik und Gesellschaft befreien ließen, blieb Newman trotz seiner wissenschaftlichen Arbeit Seelsorger. Dass der Glaube an Gott in dieser Welt gelebt wird, predigte er immer wieder, mitunter in den ärmsten Pfarreien. Nur wer an den Himmel glaubt, so Newman, kann die Welt genießen, weil er sie nicht für seine Gier missbraucht. Der Blick in den Himmel öffnet den Menschen zur Annahme seiner selbst und für die Mitmenschen. Diese Offenheit bedeutet für Newman auch die Offenheit gegenüber anderen Haltungen und Positionen: Es kann für ihn keine Frage geben, die der menschliche Geist auf Dauer einfach ausblenden könnte.

Im tiefsten Inneren seiner Existenz blieb Newman aber vor allem eines: ein Beter. Kein Zweifel bestand für ihn darin, dass der Glaube zunächst vom Beten kommt. Um sich auf den Weg mit Gott zu machen und von Ihm erzählen zu können, ist das persönliche Gebet die wichtigste Voraussetzung, so Newmans Überzeugung.

So betete er einmal in Todesgefahr: „Bleib bei mir, ich will nicht in die Ferne sehen, ein Schritt genügt mir.“ Ich selbst und mein Schöpfer, der mich Schritt für Schritt durch mein Leben führt, – darauf kommt es Newman zufolge im geistlichen Leben an. Das macht ihn auch heute aktuell. Ein wahrer „Saint today“, ein Heiliger für heute.

TEXT: FELIX MAIER (24)