Dass Seelsorge, auch und ganz besonders in akuten Notsituationen, eine zentrale Aufgabe der Kirche ist, darüber sind sich Rolf Wachter (50) und Thomas Haselbauer (40) einig. Der evangelische Pfarrer und der katholische Pastoralreferent bilden gemeinsam das ökumenische Leitungsteam der Notfallseelsorge im Landkreis Heidenheim. Berufen hat die beiden langjährigen Seelsorger getroffen und mit ihnen über ihre Aufgabe, den eigenen Glauben im Einsatz und einprägsame Erlebnisse gesprochen.

Was ist die Hauptaufgabe der Notfallseelsorge?
HASELBAUER: Oftmals liest man etwas plakativ: Notfallseelsorge ist so etwas wie „Erste Hilfe für die Seele“. So versteht sich die Notfallseelsorge auch, dass sie zu Menschen gerufen wird, die sich in einer akuten Notsituation befinden, in einer psychischen Betroffenheit aufgrund eines Todesfalls oder eines traumatischen Ereignisses, das sie miterlebt haben.
Wenn Rettungsdienst, Notarzt und Feuerwehr ihren Job getan haben, brauchen die Betroffenen jemanden, der sie auffangen, für sie da sein und ihnen zuhören kann, der aber auch Hilfestellung geben kann bei der Frage: Wie geht es jetzt weiter?
WACHTER: Wenn ich das Kindern erklären soll, sage ich ganz einfach: Wir sind da, wenn ein Mensch etwas Schlimmes erlebt, oft, wenn jemand gestorben ist, und versuchen dann die, die traurig sind, zu trösten.
Warum haben Sie sich dafür entschieden, sich bei der Notfallseelsorge zu engagieren?
WACHTER: Notfallseelsorge mache ich seit 2005, damals war ich eben mit dem Vikariat fertig. Auf meiner ersten Stelle war das für die Pfarrerinnen und Pfarrer eine Selbstverständlichkeit, diese Aufgabe noch zusätzlich zu übernehmen. Es wurde dann aber für mich auch relativ schnell deutlich, dass das Sinn macht: Ich kann Menschen tatsächlich helfen und ich glaube, wir sind als Kirche an keinem Punkt so nah beim Menschen wie im Bereich Notfallseelsorge.

HASELBAUER: Ich bin damals ein Stück weit aus der Not heraus reingekommen. Die Notfallseelsorge im Kreis wurde immer hauptsächlich von evangelischen Kollegen im Pfarrdienst mitgetragen. Unser Dekan hat damals unter den katholischen Hauptamtlichen sehr für den Dienst in der Notfallseelsorge geworben. Ich habe darüber nachgedacht und fand darin für mich ein gutes Arbeitsfeld. Denn mir war relativ schnell klar: Das ist ein Dienst, in dem ich so nah dran bin wie in kaum einem meiner anderen Arbeitsfelder in der Seelsorgeeinheit.

Wir wichtig ist denn der eigene Glaube in den Gesprächen?
WACHTER: Für mich ist mein eigener Glaube in jedem Einsatz etwas, das mir Halt gibt. Das heißt dann beispielsweise, dass ich auf der Fahrt zum Einsatz im Auto Gott bitte, dass er bei mir ist und mir hilft, die Situation auszuhalten und die rechten Worte zu finden. Bei den Betroffenen selbst bin ich sehr behutsam und zurückhaltend, ich möchte da keinem was aufzwingen. Aber in den Gesprächen merkt man, wenn der Glaube eine Rolle für jemanden spielt. Häufig kommt auch die Frage: „Wie kann Gott das jetzt zulassen?“ Da sind wir ja letztendlich auch bei Glaubensthemen. Wenn die Leute das wollen, können wir auch gemeinsam beten oder uns von den Verstorbenen verabschieden, indem man eine Kerze anzündet und ein Abschiedsritual mit einem Gebet oder einem Sterbesegen macht.

HASELBAUER: Wenn man von der Einsatzstelle weggeht, fragt man sich oft auch, wie es jetzt bei den Betroffenen weitergehen kann. Da hilft es mir auch persönlich sehr, das mit ins Gebet zu nehmen und zu wissen, dass auch, wenn ich jetzt nicht mehr da bin, ich darauf vertrauen kann, dass Gott jetzt in irgendeiner Form für sie da ist.

Wie schafft man es, schwierige Situationen und Erlebnisse zu verarbeiten und sie nicht zu nah an sich heranzulassen? Was hilft Ihnen?
HASELBAUER: Natürlich kommen auch immer mal wieder Bilder von Einsätzen auf, die heute noch sehr präsent sind, ohne mich aber runterzuziehen oder zu belasten. Ich denke aber, jeder hat für sich Formen entwickelt, damit umzugehen. Ich habe mein Ritual, wenn ich meine Einsatzkleidung bewusst ausziehe. Auch der Anruf bei der Leitstelle zählt dazu, um einen Schlusspunkt zu setzen. Natürlich gehen wir immer mit rein in die Not und die Trauer und leiden da auch mit, schließlich ist das auch ein Stück weit unsere Aufgabe. Dadurch wird es auch ein bisschen zu unserer Situation, aber damit müssen wir natürlich umgehen können, und wenn es doch mal schwierig wird, können wir uns auch immer für eine gewisse Zeit aus der Bereitschaft rausnehmen.
WACHTER: Neben meinem Rückhalt im Glauben hilft mir ein Satz, den ich einmal gelernt habe: Für die Person, die mir gegenübersitzt, ist das jetzt eine sehr schlimme Situation, aber es ist nicht meine Situation. Ich bin da, um zu helfen. Und das hilft mir, da eine gewisse Distanz aufzubauen zu dem Leid, mit dem man tatsächlich auch konfrontiert wird.

Gab es denn jemals eine Situation, in der Sie das Gefühl hatten, dass Sie die Notfallseelsorge zu sehr mitnimmt? Haben Sie vielleicht sogar schon einmal darüber nachgedacht, ob Sie das Ganze sogar ganz sein lassen?
HASELBAUER: Ich habe zwar schon Einsätze erlebt, die prägend waren und die auch immer wieder präsent sind, aber ich musste mir noch nie sagen: Das kann ich jetzt nicht mehr, es ist so unerträglich für mich, dass ich das nicht mehr kann.
Ich kann aber auch nicht ausschließen, dass mir das mal passieren wird. Ich habe jetzt eine einjährige Tochter und ich könnte mir schon vorstellen, dass es für mich jetzt anders ist, in eine Familie zu kommen, in der ein kleines Kind stirbt, als das vielleicht vor ein paar Jahren noch war, weil man selbst in einer Lebenssituation ist, in der man sicherlich nochmal anders an Grenzen oder ins Zweifeln kommt.
WACHTER: Einen konkreten Einsatz, nachdem ich gesagt hab, dass ich das jetzt nicht mehr machen kann, kann ich so jetzt auch nicht nennen. Tatsächlich erinnere ich mich aber an eine sehr schwierige Einsatzsituation, eine Amoklage an einer Schule. Da habe ich mich dann auf der Anfahrt schon gefragt: Du saßt bis jetzt zu Hause in deinem Büro, da ist es warm und sicher, jetzt hast du die Info, dass da wahrscheinlich jemand mit einer Waffe rumrennt und du fährst genau dorthin – warum machst du das? Aber das war nur eine kurze Überlegung in diesem Moment.

Haben Sie Wünsche für die Zukunft der Notfallseelsorge? Was sollte sich ändern, was sollte unbedingt so bleiben?
HASELBAUER: Ich empfinde es so, dass wir gerade in einer Zeit sind, wo sich da vieles nochmal weiterentwickelt und professionalisiert. Da tut sich viel und das ist auch notwendig, vor allem, wenn man bedenkt, dass wir das alle ehrenamtlich und zusätzlich zu unseren anderen Berufen machen, wenn man von unserem kleinen Stellenanteil für die Leitung absieht. Ich würde mir schon wünschen, dass dieses Potential, das Kirche in diesem Bereich hat, auch weiterhin voll ausgeschöpft und gefördert wird. Da sollte sich die Kirche, egal, ob evangelisch oder katholisch, dessen immer wieder bewusst sein, dass das ein originärer Dienst ist, den sie zu tun und zu fördern hat.

WACHTER: Das wünsche ich mir auch: dass die Kirche hier sagt „Das ist unsere Verantwortung.“ Da sind wir als Kirche nah bei den Menschen, das ist wahrscheinlich unser Ureigenstes, das muss weitergeführt werden, solange es möglich ist.
Und zum anderen kommen immer häufiger Einsätze vor, bei denen ich den Eindruck gewinne, dass wir in unserer Gesellschaft nicht mehr wissen, wie wir mit dem Tod umgehen sollen. Das sind zum Beispiel Situationen, wenn hochbetagte Menschen nach langer Krankheit versterben, und die Angehörigen dennoch vollkommen überrascht und überfordert wirken. Natürlich begleite ich die Angehörigen auch in solchen Situationen. Doch sie sind auch ein Indiz dafür, dass wir den Umgang damit, dass der Tod zum Leben dazugehört, verlernt haben. Das würde ich mir schon wünschen, dass dieses Thema gesellschaftlich vielleicht auch wieder ein bisschen mehr Präsenz gewinnt.

Gibt es etwas, was Sie aus Ihren Erfahrungen den Lesern des Magazins mitgeben wollt?
WACHTER: Ich glaube, es ist wichtig, die Scheu zu nehmen, sich solchen Situationen zu stellen. Jeder Mensch ist dazu in der Lage, einem anderen einfach zuzuhören und einfühlsam mit ihm zu reden, vor allem aber mit ihm zu schweigen und das gemeinsam auszuhalten.
HASELBAUER: Die Kirchen haben da in der Trauerbegleitung kein Monopol, das können Angehörige oft besser. Wir neigen dazu, vieles zu professionalisieren, was eigentlich unser ureigenster Auftrag ist, wozu auch jeder die nötigen Fähigkeiten hat. Auch wenn es natürlich trotzdem manchmal gut ist, wenn es Profis gibt, die von außen dazukommen.

TEXT: GABRIEL HÄUßLER (22)