CHRISTLICHE LEBENSREALITÄTEN AUF SOCIAL MEDIA
Mehr als tanzende Pfarrer

Immer mehr Christ*innen nutzen soziale Medien, um ihren Glauben in die digitale Welt zu tragen. Auf Plattformen wie Instagram, Twitter und TikTok können nicht nur Glaubensfragen diskutiert und zum Ausdruck gebracht, sondern auch direkte Einblicke in christliche Lebensrealitäten gegeben werden. Um einen besseren Eindruck von den Chancen und Herausforderungen zu bekommen, hat berufen mit Sr. Sophia Gisa und Kira Beer über ihre Erfahrungen als Christ*innen auf Social Media gesprochen.

Immer mehr Christ*innen nutzen soziale Medien, um ihren Glauben in die digitale Welt zu tragen. Auf Plattformen wie Instagram, Twitter und TikTok können nicht nur Glaubensfragen diskutiert und zum Ausdruck gebracht, sondern auch direkte Einblicke in christliche Lebensrealitäten gegeben werden. Um einen besseren Eindruck von den Chancen und Herausforderungen zu bekommen, habe ich für diesen Artikel mit Sr. Sophia und Kira Beer über ihre Erfahrungen als Christ*innen auf Social Media gesprochen.

Digitale Medien sind Alltagsmedien und insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene bearbeiten Sinnfragen in der Auseinandersetzung mit der Medienkultur, welche die Wahrnehmung von Wirklichkeit prägen und mitbestimmen kann. Ein Swipe, eine „Wisch-Bewegung“ auf dem Touchscreen, kann User* innen die Lebensrealität von Christ*innen, Ordensmenschen, Pfarrpersonen, Theolog*innen und Theologiestudent*innen eröffnen und Impulse für den eigenen Glauben und die Spiritualität geben. Kirche versteht die Relevanz von Social Media immer mehr, weshalb es neben offiziellen Accounts der Diözese auch Stellenanteile für Einzelpersonen und Netzwerke wie das »Yeet-Netzwerk« oder »ruach.jetzt-Netzwerk« gibt, die einzelne christliche Creator* innen unterstützen. Sr. Sophia und Kira Beer sind als christliche Creator*innen auf den Plattformen aktiv und haben mit berufen über ihre Erfahrungen gesprochen. Sr. Sophia ist Franziskanerin von Siessen, lebt in Berlin in einem Konvent in Kreuzberg, arbeitet bei einer Design- und Kommunikationsagentur als Accountmanagerin und teilt auf ihrem Instagram- Account sr.m.sophia Eindrücke von ihrem Arbeitsalltag und ihrem Leben als Ordensschwester. Kira ist 24 Jahre alt, studiert Katholische Theologie und teilt auf ihrem Instagram-Account kira__beer Gedanken, die sie bewegen. Sie teilt neben ihren Gedanken zu Glauben und Studium auch persönliche Einblicke. Sr. Sophia arbeitete nach Absolvierung ihres Masters in Public Relations als PR-Beraterin in Berlin. Dabei sammelte sie unter anderem in dem Bereich der Influencer Relations Erfahrungen und war so früh für das Thema Social Media und das Phänomen der Influencer*innen sensibilisiert. 2019 wurde sie im Kontext ihrer Ordensausbildung von einer passiven Userin zur aktiven Creatorin, da die Deutsche Ordensoberenkonferenz (DOK) die Gemeinschaft angefragt hatte, ob sie sich vorstellen könne, Einblicke in den Alltag einer Novizin zu geben. Damals waren noch kaum Ordenspersonen auf Instagram und es wurde noch diskutiert, ob Kirche überhaupt präsent auf Social Media sein sollte. Sr. Sophia stellte damals für sich fest, dass es eine gute Möglichkeit sein kann, um Kontaktflächen zwischen unterschiedlichen Lebensrealitäten zu schaffen. Ihr weiteres Studium der Soziologie und Medienwissenschaften an der Universität Tübingen verdeutlichte für sie soziologische Relevanz von Social Media und die Bedeutung von Repräsentanz unterschiedlicher Lebensrealitäten auf dieser parasozialen Ebene.

Kira stand der Plattform aufgrund der Oberflächlichkeit lange Zeit eher kritisch gegenüber. Das änderte sich erst während ihres Freiwilligendienstes in der katholischen Jugendverbandsarbeit, da sie Lust hatte, ihren Alltag und ihre Gedanken zu teilen, ohne oberflächlich zu sein. Ihr folgten immer mehr Menschen und auch ihre Beiträge wurden vermehrt geteilt. Das hatte zur Folge, dass die Diözese auf sie aufmerksam wurde und sie für eine Zusammenarbeit anfragte. Kira nahm diese Anfrage an, bevor sie nach einer kurzen Zeit der Zusammenarbeit wieder ihren eigenen Weg ging.

Im Vergleich zu klassischen Medien ermöglicht Social Media eine direkte Sichtbarkeit unterschiedlicher Gruppen und Lebensrealitäten. Gerade in Bezug auf das Leben im Kloster und das vorherrschende Klischeebild von Katholik*innen ist das für beide ein wichtiger Punkt. So ist das mediale Bild von Ordenspersonen bei vielen Menschen vom Film »Sister Act« und der ARD-Serie »Um Himmels Willen« geprägt, weshalb direkte Einblicke auf Social Media eine Art „Realitätscheck“ gegenüber diesen zugespitzten Bildern sein können. Für Sr. Sophia ist es daher wichtig zu zeigen, dass Ordenspersonen wie alle anderen Menschen durch individuelle Prägungen, Studium, Interessen oder Nerdtum sehr divers und vielfältig sind. Sie möchte dabei unter anderem mit dem brechen, dass Ordenspersonen eine eigene Klasse in der Kirchenstruktur darstellen. „Wir sind genauso weird wie alle anderen auch.“ Auch Kira bricht mit dem Klischeebild von Katholik*innen, wenn sie in ihrem Content immer wieder auch ihre Meinung zu Trash-TV oder Storys zu Dating und Struggles mit gesellschaftlichen Körperidealen teilt. Es sind authentische Momentaufnahmen, die mit herkömmlichen Bildern brechen, aber natürlich nur den Bruchteil einer Person und ihrem Leben zeigen.

Für Kira ist es wichtig, dass es nicht darum geht, Menschen vom Glauben zu überzeugen, sondern aufzuzeigen, welche Möglichkeiten und Alternativen der Glaube bereithält. Ihr geht es darum, Anregungen oder Einblicke zu geben, in denen Menschen sich entweder wiedererkennen oder die eine Inspiration zum Weiterdenken sein können. Als eine der schönsten Rückmeldungen empfindet sie es, wenn Menschen sagen, dass sie durch Kira wieder das Vertrauen haben, einen Platz in der Kirche zu haben und Teil von Kirche sein zu dürfen. Dabei ist es egal, ob die Menschen sich selbst als gläubig verstehen oder nicht. Auch Sr. Sophia sieht eine der Stärken darin, dass Creator*innen Safer Spaces durch ihre Accounts kreieren können, indem sie sich zum Beispiel als Verbündete, sogenannten Allys, mit queeren Personen solidarisieren. „Das sind wichtige Begegnungs- und Beziehungsräume, da wir nicht davon ausgehen können, dass queere Personen eine Gemeinde in ihrer Nähe haben, die supportive ist.“ Menschen können sich durch Creator*innen, die Teil von Kirche sind und sich auf ihren Accounts offen positionieren, bestärkt und gesehen fühlen.

Besonders wichtig ist für Sr. Sophia aber auch, dass es Personen gibt, die das Ringen mit Kirche zeigen, die zeigen, was bewegt oder streitbar ist. Kira ist dafür ein Beispiel, da sie von Anfang an auch ihre Kritik und ihr Ringen mit Kirche offen teilte. Sie teilte nicht nur ihre Gedanken zu Berufungserfahrungen als Frau in der Katholischen Kirche, sondern nahm auch in Bezug auf die Abtreibungsthematik eine differenziertere Haltung ein. Wie stark Social-Media-Themen eine Relevanz und Sichtbarkeit geben können, ließ sich unter anderem bei der abgelehnten Kandidatur von Viola Kohlberger sehen, die noch vor kurzem kaum Aufmerksamkeit bekommen hätte. Viola Kohlberger hatte für das Amt der Bundeskuratin der DPSG kandidiert und wurde überraschenderweise von einer Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz ohne Begründung abgelehnt. Daraufhin äußerten sowohl viele katholischen Verbände wie zum Beispiel DPSG, BDKJ und ZDK als auch viele Einzelpersonen ihr Unverständnis für diese Entscheidung und erklärten ihre Solidarität mit Viola in den sozialen Medien, wodurch die Ablehnung öffentlich bekannt und relevant für den öffentlichen Diskurs wurde. Zeitgleich betont Kira, dass digitale Glaubenskommunikation eine inhaltliche Ebene braucht und es nicht nur um das Generieren hoher Klickzahlen durch Reels eines tanzenden Pfarrers gehen kann.

Das Vermitteln von Inhalten ist auf Social Media mit Zeitspannen von 90 Sekunden allerdings schwer und mit Blick auf umstrittene Accounts wie von Jana Highholder und Jasmin Neubauer ein ernsthaftes Problem, auf das beide mit Sorge blicken. Das Grundproblem, das Kira und Sr. Sophia mit Blick auf Fundamentalist*innen, sehen ist, dass fundamentalistische Stimmen einfache Antworten auf komplexe Themen und Fragen bieten. Auf Social Media ist das ein Vorteil, da die kurzen Zeiten eines Reels besonders praktisch für einfache und kurze Antworten sind. Pointierte, polemische und emotionalisierende Inhalte werden vom Algorithmus besonders gepusht und gewinnen dadurch leicht an Reichweite. Im Gegensatz dazu hat Kira an sich selbst den Anspruch, diesen Inhalten etwas entgegenzusetzen, indem sie alternative Wege im Umgang mit Glauben aufzeigt und auch ein theologisches Faktenwissen einbringen kann, das fundamentalistischen Influencer*innen fehlt. Das ist aufgrund der kurzen Zeitspannen eine Herausforderung, doch religiöse Mündigkeit bedeutet auch eine Ermöglichung, selbstständig über Glauben nachdenken zu können. Inhalte, die zu einem differenzierten Denken beitragen und dazu ermutigen, selbstständig zu denken und Alternativen aufzuzeigen, sind daher wichtig. Auch Sr. Sophia blickt mit Sorge auf diese Entwicklung, da diese Accounts es schaffen, User*innen aufzuwiegeln und eine große Anzahl an User*innen zu mobilisieren, sodass sich unter progressiven Accounts auch schnell viel „Hate“ und Ablehnung entlädt. Online wird nicht nur das Glaubensleben, sondern auch das jeweilige Menschenbild, welches Einfluss auf das politische Wahlverhalten und Handeln in der Gesellschaft hat, deutlich. „Ich frage mich in solchen Situationen, wo der Gedanke der christlichen Nächstenliebe, trotz unserer Unterschiede, geblieben ist.“ Für sie ist es wichtig, dass Creator*innen in solchen Situationen Grenzen ziehen können, aber auch bestärkt werden, nicht das Feld zu räumen, und befähigt werden „to show up again“, wodurch unterschiedliche Stimmen sichtbar bleiben. Sie würde sich daher manchmal wünschen, dass von den Diözesen und von zentralen Sprecher*innen mehr Stellung bezogen wird. Zudem sollten User*innen die verschiedenen Möglichkeiten nutzen, ihre Medienkompetenz stetig weiterzuentwickeln, weshalb es noch mehr Angebote und Kooperationen mit »Hate Aid«, die Hilfe bei Hate leisten können, bräuchte. Für Sr. Sophia ist es in diesen Situationen keine Option, einfach zuzuschauen, sondern eine Pflicht, sich solidarisch zu zeigen.

Mit Blick auf die Medienarbeit der Kirche würden sich beide wünschen, dass Diözesanleitungen sehen welche Social-Media-affine Menschen es in ihren Diözesen gibt und diese noch mehr in ihrer Arbeit fördern, da es ein wichtiger Teil des Jobprofils gewor- den ist. Eine gelungene und verantwortungsvolle Medienarbeit besteht außerdem in der aktiven Förderung der Medienkompetenz. Da diese nicht durch ein einmaliges Angebot erworben wird, braucht es regelmäßige Angebote und Investitionen in diesem Bereich. In den Medien- und Presseabteilungen der Diözesen würde sich Sr. Sophia daher auch junge Menschen wünschen, die diverse (Ausbildungs-) Hintergründe und vor allem eine hohe Medienaffinität und Verständnis haben. Für sie geht es darum, ein interdisziplinäres Team zu schaffen, in dem dessen Mitglieder auch tatsächlich die Medien nutzen und konsumieren, die sie bespielen. „Es geht darum, Menschen, in einem Team zu bündeln, die diese Medien tatsächlich täglich konsumieren und damit groß geworden sind. Das würde schon einen großen Unterschied in der Frage machen, wie ich das Medium verstehe.“ Abschließend bleibt festzuhalten, dass eine zukunftsfähige Medienarbeit der Kirche nur dann gelingen kann, wenn sie die Herausforderungen und Perspektiven der digitalen Glaubenskommunikation versteht und ihre eigene Verantwortung in diesem Bereich wahrnimmt.

TEXT: ISABELLA REISCH (24)