„SEDE VACANTE NIHIL INNOVETUR“
und doch viel Arbeit
Clemens Stroppel im Interview
Die Zeit der Sedisvakanz hat ein Ende. Kaum ein Jahr ist es her, dass Gebhard Fürst als Bischof in den Ruhestand verabschiedet wurde. Ehemals Generalvikar übernahm Clemens Stroppel die Aufgaben des Diözesanadministrators. Bis zur Amtseinführung des neuen Bischofs Klaus Krämer hatte er viel zu tun. Clemens Stroppel erzählt, wie er diese Zeit erlebt hat.
„Diözesanadministrator“ klingt sehr bürokratisch und wenig geistlich, entspricht das der Realität?
Schon als Generalvikar hatte ich Verantwortung in Kirche und für Kirche und also für ihre immer gleichzeitig weltliche, manchmal allzu weltliche, und geistliche Wirklichkeit. Schon als Generalvikar habe ich meine Aufgaben nicht nur bürokratisch verwaltend gesehen, sondern sie immer auch als Priester wahrzunehmen, ja, zu leben versucht. Immer verstand ich mich und war auch Seelsorger der „Gemeinde“ aus den Mitarbeitenden des Bischöflichen Ordinariats. Es ereignen sich ja alle entscheidenden Lebensmomente: Geburt und Eheschließung, Krankheit und Tod, Freude und Trauer, Sorgen und Hoffnungen. Wir haben viel direkt und indirekt über unser Glauben und Hoffen, Zweifeln und Fragen gesprochen und konnten immer wieder miteinander Hoffnung buchstabieren. Und ich konnte ja Eucharistie feiern mit dieser „Gemeinde“ und manchmal auch die Sakramente der Taufe oder der Ehe. Und ich war ja auch noch in den Gemeinden unterwegs als Priester.
Wie sah der Alltag eines Diözesanadministrators aus?
Ganz nüchtern betrachtet: Er begann nach Laudes und Frühstück spätestens um 8 Uhr und endete gegen 22 Uhr oder später. Dazwischen waren viele Besprechungen, Jour fixes, Sitzungen, Video-Konferenzen und möglichst auch noch Aktenstudium, um Sachverhalte zu durchdringen und mich sachkundig zu machen. Abends entstanden noch Predigten und Ansprachen. Und sonntags ging’s in die Gemeinde.
Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Amts eines Diözesanadministrators und dem eines Bischofs?
Für den Diözesanadministrator gilt wie für die ganze Diözese: „Sede vacante nihil innovetur“ Während der Vakanz des Bischofsstuhls wird nichts Grundlegendes geändert. Es sollen keine Entscheidungen gefällt oder Fakten gesetzt werden, die den neuen Bischof über die inhaltliche und strukturelle Leitung der Vorgänger hinaus binden würden. Er soll in seiner bischöflichen Verantwortung als Bischof frei an seinen Vorgänger anknüpfen können. So kann der Administrator auch keine Pfarrer ernennen. Die Leitung von Kirchengemeinden wird zur Pfarradministration übergeben. Oder die Entscheidung der Zulassung von Weihekandidaten erfolgt im Konsultorenkollegium, das vom Domkapitel wahrgenommen wird. Die Amtsbezeichnung bringt es auf den Punkt: Der Diözesanadministrator „administriert“ die Diözese im Sinne des lateinischen Begriffs „administrare“: leiten und lenken, die notwendigen Dinge besorgen und Sorge tragen für die kirchennotwendigen Vollzüge, seinen Dienst tun und arbeiten um des gelingenden Weiterlebens des Ganzen willen.
Wie hat sich ihr Amt als Administrator gegenüber dem des Generalvikares verändert?
Als Generalvikar war ich der ständige Vertreter des Bischofs und hatte seine Leitungsaufgaben in der Bischöflichen Verwaltung und den nach dem „Rottenburger Modell“ zusammenwirkenden Gremien wahrzunehmen. Als Administrator der Diözese in der Sedisvakanz kamen mir die Aufgaben der Vertretung des Bischofs vor allem auch nach außen zu, also repräsentative Aufgaben und Veranstaltungen, bei denen das „Gesicht“ der Diözesanleitung sichtbar sein oder ins Gespräch kommen, Rede und Antwort stehen sollte. Oder auch Leitungsaufgaben, die sonst der Bischof wahrnimmt: den Vorsitz im Kirchensteuer- und Katholikenrat etwa. Wichtig sind auch die Messfeiern mit Gruppen und Gremien oder im öffentlichen Raum mit dem wichtigen Dienst der Verkündigung. Was deutlich anders war: mehr Kameras für die mediale Kommunikation. Aber fotografiert und gefilmt zu werden war noch nie mein Ding.
Auch Personalentscheidungen bei den Stellenvergaben der Pastoralen Berufe waren mehr in meine Verantwortung gerückt worden oder die Eignungs- gespräche vor Diakonen- und Priesterweihe. Überall war ich froh, dass es beratende Gremien gab, in denen gemeinsam abgewogen und möglichst im Konsens Entscheidungen gefällt oder vorbereitet werden konnten. Froh war ich auch, dass ich meinen Arbeitsort im Ordinariat, mitten unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, behalten konnte. Seit fast zwanzig Jahren erlebe ich nicht nur, wie sehr ich in verantwortungsvoller Aufgabe auf sie angewiesen bin, sondern auch, wie wir uns auf unser Miteinander verlassen können.
Als Sie noch Diözesanadministrator waren, wurden Sie auch im Hochgebet erwähnt, wie fühlte sich das an?
Ich konnte mir das nicht vorstellen. Als die Frage nach der Wahl zum Diözesanadministrator im Domkapitel anstand, warf der Ständige Vertreter ein: „Das ist so!“ Und ich fügte mich. Ich war dann berührt, als ich meinen Namen zum ersten Mal hörte, und sehr schnell froh, dass mich so viele Gemeinden im Zentrum der Feier des Todes und der Auferstehung unseres Herrn betend und bittend mittragen und mein Tun dem Herrn der Kirche anvertrauen.
Was landete in dieser Zeit in Ihrer Post, das Sie überraschte, irritierte, empörte, zum Lachen brachte?
Es ließ mich lachen und es freute mich, wenn mich Menschen, nicht zuletzt Mitarbeitende während der Vakanz einfach weiterhin „Generalvikar“ oder „GV“ nannten. Das war ich gern und mit Leib und Seele. Und das verbindet mich herzlich mit vielen Menschen.
Es überraschte mich und ich staunte immer wieder über das große Vertrauen, das mir entgegengebracht wurde, trotz aller – auch berechtigten – Kritik an unserer Kirche und trotz des Glaubwürdigkeitsverlusts unserer Kirche.
Und es schmerzte mich manchmal die Wut, die mir in manchen E-Mail-Nachrichten begegneten. Bspw. nach der Veröffentlichung der einstimmig beschlossenen Erklärung der Bischöfe zum Völkischen Nationalismus, als mich ein zunächst überwiegend evangelikaler Shitstorm erreichte und dann der Zorn von katholischen Schwestern und Brüdern, die uns immer wieder vorwerfen, schon in der Corona-Pandemie als Kirche versagt zu haben und nun gegen die vorzugehen, die doch als einzige vermeintlich nichts anderes als christliche Werte verteidigten. Das fiel mir zugegebenermaßen schwer zu verstehen und es strapazierte meine Geduld, ihnen immer wieder zugewandt dialogbereit zu antworten.
Wie gewinnen Sie noch heute Abstand vom Berufsalltag?
Ich muss zugeben, dass es mir sehr schwerfällt, Abstand zu gewinnen. Als Diözesanadministrator war es sogar noch schwerer. Ich spürte die Last der Verantwortung. Manche Fragen gingen mir nachts nach und raubten mir den Schlaf. Die Doppelbelastung war durchaus erschöpfend. Und die nicht einfach zu lösenden oder aufzulösenden Fragen haben ja in allen Lebensbereichen zugenommen.
Am meisten Erholung bietet mir intensive Gartenarbeit. Ich nutze jede mir verbleibende freie Minute dafür. Und Abstand verschafft mir die mich seit seiner Geburt begleitende Sorge um meinen behinderten Bruder, für den ich Betreuer bin. Bei dem vielen, das ständig nach mir ruft und schreit, ruft hier ein einzelner hilfebedürftiger Mensch, dem ich mich nicht nur verbunden, sondern verpflichtet weiß. Zeit für Freunde oder einfach einmal nichts zu tun, blieb mir zur dieser Zeit praktisch nicht mehr.
Wie würden Sie Ihre persönliche Spiritualität beschreiben?
Was mich trägt, ist die Feier der Eucharistie mit und der Dienst der Verkündigung für viele Menschen, auch Kinder und Jugendliche. Sie lassen mich – manchmal innerlich tief anrührend – erfahren, warum ich Priester geworden bin, wie wertvoll unsere frohe Botschaft ist, wie wichtig unser Dienst als Kirche und wie tragend unsere glaubende, hoffende und liebende Gemeinschaft in herausgeforderter Zeit. Ich spüre Leben und Hoffnung und Zukunft: Die Freude am Herrn ist unsere Kraft (vgl. Neh 8,10), lautete das Motto unseres diesjährigen Begegnungstages der Priester. Das fasst mein Erleben im Amt, in dem ich angespannt, manchmal sogar auch überfordert war, gut zusammen. Und mein Primizspruch: Brich auf, in das Land, das ich dir zeigen werde (Gen 12,1), der Ruf Gottes an Abraham in seine Zukunft.
ZUR PERSON
Dr. Clemens Stroppel, gebürtiger Tuttlinger, studierte Theologie in Tübingen und Rom und wurde 1987 in Weingarten zum Priester geweiht. Nach seiner Vikarszeit war er als Repetent im Wilhelmsstift und nach seiner Promotion als Regens am Priesterseminar in Rottenburg von 1998 bis 2005 tätig. Seit 2005 ist er Domkapitular und seit 2015 Domdekan. Ebenfalls seit 2005 bis zur Emeritierung von Bischof Dr. Gebhard Fürst im letzten Jahr war er als Generalvikar tätig. Von Dezember 2023 bis Ende November 2024 war er Diözesanadministrator für die Zeit der Sedisvakanz.
TEXT: VALERIE STENZEL (24)