Sr. Rut

Seit 13 Jahren ist Rut Göhringer (50) Anna-Schwester. Warum hat sie sich als junge Frau für diesen Weg entschieden? Und wie sieht ihr Leben hinter Klostermauern aus? Wir haben sie in Ellwangen besucht.

Schwester Rut steht im Eingangsbereich des Mutterhauses St. Anna in Ellwangen. Hinter der elektronischen Schiebetür wartet eine gemütliche Sitzecke mit tropischer Begrünung auf Besucher. Es ist ein bisschen wie in einem Hotel. Diese Anfangsassoziation passt überraschend gut zu Sr. Rut. Denn bis zu ihrem Eintritt in die Ordensgemeinschaft der Anna-Schwestern arbeitete sie als Hotelfachfrau. Seit 13 Jahren lebt die gebürtige Ellwangerin nun im Kloster. Einer ihrer Lieblingsplätze ist der vom Kreuzgang gerahmte Innenhof. Der fein säuberlich getrimmte Rasen und eine Vielzahl verschiedener Blumen und Heilkräuter an den Rändern des Lichthofs laden zum Seelebaumeln ein. Ein kleiner Springbrunnen sorgt mit seinen stetigen, parabelförmigen Fontänen für meditative Hintergrundmusik.

Für Sr. Rut war es ein langer Weg, bis sie hier ankam. Sie hatte sich zuvor ein gemütliches Leben eingerichtet, wie sie sagt. „Dreieinhalb Jahre bevor ich eingetreten bin, hatte ich mit Ordensleben und Glauben noch nicht so viel am Hut.“

„Ich habe gemerkt, dass da noch etwas fehlt“

Doch nach einiger Zeit im Beruf kam sie ins Überlegen: „Ich habe gemerkt, dass da noch etwas fehlt.” Diesem Fehlen kommt sie auf die Spur, als sie, angeregt durch eine Bekannte, den Würzburger Fernkurs für Theologie beginnt. „Es hat mich dann gepackt. Ich wollte mehr über meinen Glauben erfahren und über mich und meine Gottesbeziehung nachdenken.” Die 34-Jährige vertraut sich dem damaligen Kirchenmusikdirektor der Basilika St. Vitus in Ellwangen an. Den Handzettel mit einer Einladung zum freitäglichen Abendlob im Haus Lebensspur der Anna-Schwestern, den er ihr empfehlend mitgibt, trägt sie zwei Wochen mit sich herum, ohne das Angebot wahrzunehmen. Ihre Mutter gibt ihr dann den entscheidenden Impuls: „Jetzt geh’ da endlich hin, das ist ja nicht zum Ansehen.” Am nächsten Freitagabend geht sie ins Kloster.

Es packt Sr. Rut erneut. Einige Freitagabende, Besinnungswochenenden und eine Auszeit später entschließt sie sich für ein halbes Jahr „Kloster auf Zeit”. „Und was soll ich sagen, es ging 2007 nahtlos ins Postulat über.” Sr. Rut lacht herzlich bei dieser Erinnerung. Sie durchläuft schließlich den geregelten Werdegang einer Ordensschwester: Noviziat, Juniorat und dann ihre Ewige Profess 2015. „Ich bin relativ spät eingetreten, mit 35 Jahren, aber wahrscheinlich habe ich die Zeit einfach gebraucht”, resümiert sie. „Also, falls Sie da eine ganz typische Berufungsgeschichte mit einer Erleuchtung erwartet haben, muss ich Sie enttäuschen, die hatte ich nicht“, meint sie amüsiert.

„Meine Aufgaben? Die sind vielfältig, flexibel und spontan“

Heute ist sie glücklich in ihrem abwechslungsreichen Alltag. Ihr Tag beginnt um kurz nach fünf Uhr morgens. „Meine Aufgaben sind vielfältig, flexibel, spontan“, erzählt sie. „Zu 65 Prozent arbeite ich bei uns in der Großküche, meistens im Frühdienst. Das heißt, dass ich diejenige bin, die die ganzen Stationen mit Brötchen, Brot, Kaffee, Marmelade, Joghurt versorgt. Alles, was man zum guten Start in den Tag und darüber hinaus benötigt, läuft über mich.“ Danach warten ganz verschiedene Projekte auf die Ordensfrau: Das sind zum Beispiel spirituelle Klosterführungen, gestaltete Auszeiten oder die Mitarbeit im Sieger Köder Museum. Dazu kommen die verschiedenen liturgischen Dienste in den Gottesdiensten und bei den Gebetszeiten. Hier wechselt sie sich mit ihren Mitschwestern ab. Sr. Rut hat im Kloster sogar Orgelspielen gelernt, um die Gottesdienste begleiten zu können.

Doch an diesem Tag wartet noch eine andere Aufgabe auf sie. Vor der Klosterpforte hat sich eine etwa vierzigköpfige Schar von Kommunionkindern samt Eltern und Begleitern versammelt. Gespannt und aufmerksam warten sie, dass ihnen Sr. Rut zusammen mit Sr. Editha die Geheimnisse der hauseigenen Hostienbäckerei zeigen. Sr. Rut kann gut auf die Kin- der eingehen und stellt sie bewusst in den Vordergrund, indem sie die Erwachsenen mit einer schweren Regel belegt: Die Kinder dürfen zuerst antworten. Mittels geschickten didaktischen Fragens erschließt Sr. Rut mit den Kindern die Zutaten des Hostienteigs und den Unterschied zwischen einer Hostie und dem Leib Christi. Nebenbei erklärt sie die Handgriffe, die Sr. Magdalena mit einem „Waffeleisen“ für das Backen und Prägen der Hostien vornimmt, und verteilt Kostproben des krossen Produktes, das ohne einen weiteren Produktions- schritt die Konsistenz und den Geschmack von Esspapier aufweist. Das Ausstanzen der Hostien finden die Kinder besonders spannend: einmal das Pedal der historischen Stanzmaschine kräftig mit dem Fuß betätigt und stolz kann der überstehende Rand, der diesmal nach „Klosterchips“ schmeckt, freigegeben werden. Sr. Rut freut sich über die Neugier der kleinen Gäste. „Wir bekommen hier regelmäßig Besuch und machen das sehr gerne“, sagt sie und zeigt auf eine Wand, an der eine Vielzahl liebevoll illustrierter Dankeskarten von vorhergegangenen Kommuniongruppen hängen.

„Viele finden mein Leben sehr exotisch“

Doch Sr. Rut weiß auch, dass sie als Ordensfrau Exotin ist. Immer weniger junge Frauen entscheiden sich heute für ein Ordensleben. Bei den Anna- Schwestern war Sr. Rut die erste und einzige, die nach einer Pause von 18 Jahren eingetreten ist. In der Diözese werden deshalb regelmäßig Postulats- und Noviziatstreffen angeboten, bei denen sich Neuzugänge verschiedener Gemeinschaften begegnen können. Das hat auch Sr. Rut auf ihrem Weg geholfen. „Diese Vernetzung tut gut, da man weiß, dass noch andere mit einem auf dem Weg sind, der doch von vielen außerhalb als sehr exotisch wahrgenommen wird.” Doch warum entscheiden sich heute immer weniger Menschen für ein Ordensleben? Sr. Rut ist überzeugt, dass der Rückgang der Neubewerberinnen auch auf die gesellschaftliche Tabuisierung des Glaubens zurückzuführen ist. „Glaube wird zur Privatsache und dient vermeintlich nur zur Bewältigung von Leid“, sagt sie. „Und es liegt auch am Schrumpfen der Großfamilien, glaube ich.“ Sr. Rut kommt jedoch nicht aus einer Großfamilie. Sie hat zwei Brüder und trifft sich regelmäßig mit ihrer Mutter. Für diese war es anfangs nicht so leicht, dass

die einzige Tochter sich für ein Ordensleben entschieden hat. „Wir gehen jetzt sonntagabends immer gemeinsam in den Gottesdienst hier in der Basilika. Die regelmäßige gemeinsame Zeit hat sie dann versöhnt“, sagt sie und ihre Augen leuchten. Sr. Rut ist angekommen und glücklich, das spürt man. Damit auch andere Menschen das Ordens- leben als eine Option kennenlernen, ist es wichtig, „sich präsent zu machen und es auf positive Weise wieder ins Gespräch zu bringen“, ist sie überzeugt. „Wir müssen uns ganz stark nach außen öffnen und bei Gelegenheiten wie dem Katholikentag sagen: „Hallo, wir sind auch noch da und wir leben so. Und wir laden euch ein, zu uns zu kommen und mal mitzuleben.” Auch das freiwillige Ordensjahr auf der Basis eines FSJ findet Sr. Rut eine gute Möglichkeit, doch eines steht für sie fest: „Berufung kannst du nicht machen. Ich kann einer anderen nicht sagen: Du bist berufen, du musst zu uns kommen. Da muss jeder Mensch selbst hellhörig für den Ruf Gottes werden. Und dann findet er sein Glück.”

 

Text: Johanna Hirschberger (21)