Wie wichtig ehrenamtliches Engagement in der Kirche ist, hat spätestens das Projekt Ehrenamtskoordination, das die Diözese ab 2018 durchführte, gezeigt. Eine der zehn Modellstellen nahm dabei Alexandra Bosch (55) in Affaltrach (bei Heilbronn) ein, wo die gelernte Pharmazeutisch-Technische Assistentin aus dem Allgäu hauptberuflich mit und für die ehrenamtlich Engagierten in der Kirchengemeinde arbeitet. Über ihre Stelle als Engagemententwicklerin, das kirchliche Ehrenamt und ihre Vorstellung einer Kirche der Zukunft ist sie mit berufen ins Gespräch gekommen.

Sie haben ja nie Theologie oder etwas Ähnliches studiert. Wie sind Sie denn auf Ihre Stelle gekommen?
2017 haben wir im Kirchengemeinderat einen Antrag auf eine Stelle im Rahmen des Projekts Ehrenamtskoordination gestellt. Ich war damals selbst Mitglied des Kirchengemeinderats und deshalb gab es den Gedanken, dass ich sowas machen kann, noch gar nicht. Leider passte keine der eingegangenen Bewerbungen in das Anforderungsprofil der Gemeinde an diese Stelle, sodass unsere Gemeindeleitung einige Male nach Rottenburg ins Bischöfliche Ordinariat (BO) gefahren ist. Im Gespräch vor Ort kam dann heraus: Auf dem Job braucht man eine Beziehungsbombe. Und dann hieß es wohl beim Heimfahren von Rottenburg: „Dann wissen wir jetzt, wen wir fragen.“ Am gleichen Abend habe ich einen Anruf bekommen: „Könntest du das nicht machen? Du bist doch prädestiniert für sowas, du kannst mit Menschen umgehen, du bist vernetzt, du hast so eine positive Grundeinstellung zum Glauben und du willst was voranbringen. Mach du das doch!“ Dann habe ich Ende November 2017 innerhalb von drei Tagen meinen Job gekündigt und mich auf die Stelle beworben und schließlich habe ich sie auch bekommen. Darum bin ich als absolute Quereinsteigerin auf der Position.

Also sind Sie jetzt seit über fünf Jahren Ehrenamtskoordinatorin …
Ja, aber ich bin mit dem Begriff nicht glücklich. Denn Koordination heißt immer, man muss sich darum kümmern, dass alles läuft. Ich bezeichne mich inzwischen als Engagementförderin oder Engagemententwicklerin, das trifft’s mehr, denn bei manchen Kollegen und Kolleginnen lief es leider eher so: „Wir haben keine Ministranten mehr, jetzt bring uns doch mal fünf neue.“ Und das ist nicht das Ziel unserer Arbeit.

Sondern? Was möchten Sie als Engagementförderin erreichen?
Das Ziel ist, freiwilliges Engagement zu entwickeln und zu fördern, zu begleiten und eine Wertschätzungskultur aufzubauen. Ganz wichtig ist Netzwerken in verschiedene Räume hinein, in die Kommune, in die Ökumene, in die Schulen. Ich benutze gerne ein Bild, das Gabriele Denner, die das Projekt seitens des BO maßgeblich entwickelt und begleitet hat, uns mal gezeigt hat: das Bild einer großen Wiese mit einem Zaun drumherum und einer Kirche in der Mitte. Das Tor vom Zaun ist offen und jeder kann reinfahren, kann mal ein Zelt aufstellen, kann mit seinem Camper kommen, kann dann aber auch wieder einpacken und wegfahren, wenn er will. So dürfen Kirche und Engagement in der Kirche sein. Denn gerade in der Kirche gibt’s das leider noch zu viel: Gibst du den kleinen Finger, nehmen sie die ganze Hand. Dabei sind heute viele Menschen in ihrem Engagement projektbezogen und das Engagement muss auch sinnstiftend sein.
Dann ist es auch wichtig, eine charismenorientierte Ehrenamtskultur einzuführen: Jeder hat eine besondere Gabe, eine oder mehrere, die Gott in uns gelegt hat. Die zu fördern und anzusprechen bei Menschen, denen das vielleicht gerade nicht so bewusst ist, und ihnen zu helfen, dass sie sich einbringen können, das ist mir sehr wichtig. Die Frage ist also, wie die Menschen, die da sind, uns und anderen Gutes tun können. Das muss man aber ganz behutsam machen, mit viel Freiheit auf der Seite der Engaierten. Es geht nicht zuerst darum, die Menschen zu binden, sondern sie in allem Möglichen zu unterstützen. Bei meinem Einführungsgottesdienst habe ich deshalb drei große, leere Leinwände aufgehängt, um zu symbolisieren, wie ich Ehrenamtsarbeit sehe: Ich stelle Material – Leinwand und Farbe – zur Verfügung und jeder darf sein Bild malen.

Wenn sich irgendeine Person ehrenamtlich engagieren will, was sollte sie antreffen, wie sollte sie gefördert werden?
Ganz praktisch sind Arbeitsbeschreibungen: Ich habe einen Ordner angelegt, in dem zum Beispiel steht, was ein Lektor können muss. Und dann machen wir eben mal einen Kurs mit Sprechtraining, weil man das für diese Aufgabe braucht.
Wir machen auch spirituelle Angebote, daneben muss es aber auch Begleitung und eine Wertschätzungskultur geben. Da braucht es nichts Großes, es geht eher darum, immer wieder gesehen zu werden. Die Ehrenamtlichen müssen gut ausgerüstet sein, sie müssen wissen: Wer sind meine Ansprechpartner? Wo kann ich noch Unterstützung kriegen?
Dabei tut es gut, auch immer mal wieder in die Reflexion zu gehen: „Läuft es gut und geht’s dir noch gut bei dem, was du tust?“ Manche trauen sich nicht, „Nein“ zu sagen. Deshalb müssen wir immer wieder sagen: „Du darfst gerne gehen, wenn es jetzt gerade nicht geht, hab da kein schlechtes Gewissen. Es ist schön, dass du dabei warst, und vielleicht hast du in einem Jahr was anderes.“
Und wenn sich niemand mehr findet, dann muss man eben auch manche Gebiete sterben lassen. Ein Beispiel ist das Thema Blumenschmuck: Wenn die Frau, die das immer gemacht hat, in Rente geht oder das nicht mehr kann und sich niemand findet, dann lassen wir das weg, dann gibt’s keine Blumen. Vielleicht sitzt dann jemand im Gottesdienst und denkt sich: „Das sieht jetzt aber echt blöd aus ohne Blumen, ich mach das.“

Neben dem vielen Schönen: Was sind die anstrengenden Seiten in Ihrem Beruf?
Mein Mann sagt immer, dass ich 50 % hauptamtlich arbeite und noch 80 % oder 100 % ehrenamtlich in der Gemeinde, weil ich eben auch in der Gemeinde lebe, in der ich arbeite. Das hat zwar viele Vorteile, aber sich da abzugrenzen ist manchmal schwierig. Manchmal ärgert mich auch unsere Kirche und tut mir teilweise weh. Ich sehe, gerade bei uns und in der Diözese, dass sich Menschen bemühen, den Kurs zu ändern, und unsere Kirche zukunftsfähig machen wollen. Wenn ich dann wieder höre, dass jemand ausgetreten ist und dass das welche sind, die sich sehr engagiert haben, die aber das System nicht mehr unterstützen wollen – das tut mir echt weh. Manchmal geht’s mir auch so, dass ich denke: „Ist das noch sinnvoll?“ Aber dann zitiere ich immer gern Rainer Maria Schießler: „Auftreten statt Austreten“. Wenn alle gehen, dann ändert sich gar nichts. Und ich persönlich kann mir ein Leben ohne Kirche schwer vorstellen.

Wenn Sie jetzt in die Zukunft schauen: Was würden Sie sagen, wohin sollte sich ehrenamtliche Arbeit in der Kirche und auch Engagemententwicklung bewegen, und was wünschen Sie sich in der Hinsicht?
Ich wünsche mir, dass die Idee der Engagementförderung, wie sie bei uns in der Diözese angedacht ist, Raum greift, dass es möglichst in jeder Seelsorgeeinheit eine solche Stelle gibt, auf der sich Menschen hauptamtlich nur um Ehrenamtliche kümmern, aber auch das Bindeglied zum Pastoralteam sind. Ich wünsche mir, dass wir als Kirche rausgehen mit unserem Ehrenamt, dass wir uns mit Ehrenamtlichen in Vereinen und anderen Einrichtungen vernetzen und immer wieder zeigen, wo Kirche ist. Denn erst, wenn wir uns zeigen, haben wir die Chance, dass die Leute kommen und sich engagieren. Viele sagen immer: „Ach, keiner will heute mehr was machen.“ Das stimmt nicht, es muss nur passen! Machen wir es uns doch ganz einfach: Das, was gut läuft, das lassen wir laufen, und was nicht läuft, da müssen wir auch den Mut haben, solche Sachen sterben lassen. Ein Personalverantwortlicher im BO hat vor Kurzem gesagt: „Ich habe keine Lust mehr, Löcher zu stopfen.“ Genau, lassen wir das Löcher-Stopfen, stricken wir neue Socken. (lacht)

Sie haben ja sehr viele Erfahrungen gemacht in Ihrer Rolle als Engagemententwicklerin, aber auch persönlich, innerhalb und außerhalb der Kirche. Was möchten Sie denn daraus unserer Leserschaft mitgeben?
Zum einen Hoffnung: Gebt Kirche nicht auf! Kirche wird sich verändern und ich bin überzeugt, in zehn oder zwanzig Jahren wird die Kirche nicht mehr die sein, wie wir sie jetzt kennen. Aber wir müssen auch keine Angst haben, sondern Zuversicht. Die Bibel spricht von nichts anderem! Und nicht immer nur jammern, sondern einfach mitgestalten. Ganz wichtig ist da der Begriff Partizipation. Im kirchlichen Ehrenamt bin ich nicht nur die Arbeiterin, sondern ich darf auch bestimmen. Ich kann Kirche mitgestalten. Gleichzeitig ist es auch Zeit, sich nicht davonzuschleichen, sondern Verantwortung zu übernehmen. Und nicht zuletzt das Ganze immer in Freude: Es gibt nichts Schöneres, als mit der Frohen Botschaft des Evangeliums leben zu dürfen und durch die Welt zu gehen.

TEXT: GABRIEL HÄUßLER (24)