Für Bischof Dr. Gebhard Fürst ist Kirchenmusik ein unverzichtbarer Bestandteil des Gemeindelebens. Im Interview spricht er über die Bedeutung von Musik für den Glauben, die Zukunft der Hochschule in Rottenburg und verrät seine Lieblingslieder aus dem Gotteslob.

„Der Glaube kommt vom Hören“, sagt Paulus. Gilt das auch für die Musik?

Ich stimme Paulus natürlich zu. Er denkt an eine bestimmte Quelle des Hörens. Man muss unterscheiden zwischen Worten, die nur informieren und Worten, die mich in der Seele erreichen und in mir eine Bejahung erzeugen zu dem, was ich höre. Das ist mehr als das rein akustische Hören. Und wenn ich einem Orchester oder einem mehrstimmigen Chor zuhöre, dann ist das ein umfassendes Hörerlebnis, das über reines Hören von Wörtern weit hinausgeht. Musik erzeugt im Menschen eine ganzheitliche Wahrnehmung, sie erfasst Leib, Seele und Herz. Weil sie den Menschen auf diese Weise erheben kann, ist sie für den Glauben von ganz besonderer Bedeutung.

Verweist die Musik nur auf etwas Höheres oder ist etwas davon in ihr auch selbst enthalten?

Ich bin überzeugt: Der Musik ist bereits etwas mitgegeben, was uns transzendiert, was das Unsagbare ausdrückt. Dieses Mysterium ist in der Musik manchmal präsenter als in einer anderen Ausdrucksweise. Deshalb würde ich sagen: Gute Musik hat immer schon eine religiöse Tiefendimension, die uns von außen erreicht, aber auch den Menschen durchdringt, der singt oder sich im Spiel des Instruments ausdrückt. Ich glaube schon, dass das wirklich Göttliche in der Musik zum Klingen kommt. Doch es muss immer auch um Personalität gehen. Deshalb finde ich es gut, wenn Wort und Text, also sprachliche Botschaft und Musik zusammen schwingen. Dann kann Musik in eine Dimension hineinführen, die mich aufatmen lässt, befreit, erhaben ist und mich damit auch dem personalen Gott näherbringt.

Welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben? Spielen Sie ein Instrument oder haben Sie eines gespielt?

Ich habe wie so viele klein angefangen: mit der Blockflöte (lacht). In der Schule habe ich dann Cello gespielt, einige Zeit auch im Schulorchester. Es war für mich ein großes Erlebnis, in einem großen Klangorganismus eine Stimme zu spielen.

Haben Sie einen Lieblingskomponisten?

Im Bereich des Klassischen ist für mich Mozart eine feste Größe.

Würden Sie sagen, dass auf Ihrem Berufungsweg Kirchenmusik eine Rolle gespielt hat?

Ja! Ich habe in meiner Jugend über viele Jahre in einer Schola gesungen. Dort haben wir bei festlichen Gottesdiensten in der Gemeinde zum Beispiel den Introitus, aber auch ganz moderne Stücke gesungen. Das war für mich sehr aufregend, als 17-Jähriger so vor der Gemeinde zu stehen. Es war für mich auch ein besonderes Erleben der Liturgie, das mir ihre Schönheit gezeigt hat.

Ein Lieblingsstück aus dem Gotteslob?

Mehrere. Ein Lied, das mir einfällt, steht gerne am Beginn eines Gottesdienstes: „Gott ruft sein Volk zusammen“ von Friedrich Dörr. Da wird man durch den Rhythmus und die Melodie schön eingeschwungen und zugleich mit einem passenden Text in die Eucharistiefeier der versammelten Gemeinde eingeführt. Und nicht fehlen darf natürlich: „Großer Gott, wir loben dich”.

In Rottenburg wird an der Hochschule für Kirchenmusik (HfK) gelehrt und studiert, die unter kirchlicher Trägerschaft steht. Warum treibt die Diözese diesen Aufwand?

Natürlich ist es ein großer Aufwand und wir sind neben Regensburg das einzige Bistum in Deutschland, das eine eigene Hochschule für Kirchenmusik betreibt. Doch ich möchte das unbedingt auch weiter verantworten, dass wir eine so qualifizierte Hochschule für Kirchenmusik haben. Die Kirchenmusik hat für unsere Ortskirche so hohen Stellenwert, dass es uns das wert sein muss. Für die Liturgie und für die Verkündigung halte ich die Musik in ihrer umfassenden Weise für unverzichtbar. Wir haben eine so reiche kirchenmusikalische Tradition, das braucht eine gute Einführung. Weil Kirchenmusik so zentral ist, meine ich auch, wir brauchen ein zentrales Institut dafür, eine Hochschule.

Warum braucht es die kirchliche Begleitung der Ausbildung?

Gute Kirchenmusik kann nur gestalten, wer selbst eine geistliche Dimension in sich trägt. Diese Art von Musik ist keine Aufführung, sondern ein konstitutives Element innerhalb religiöser Feiern. Ich bin überzeugt, dass unsere Liturgie nicht ohne entsprechende Kirchenmusiker auskommt, die sich darin ganzheitlich, mit Leib und Seele – und das meine ich nicht als Floskel –, spüren und ausdrücken. In einer kirchlichen Hochschule kann ich das besonders fin- den.

Würden Sie also sagen, Kirchenmusiker sein ist eine Berufung?

Ja, auf jeden Fall. Als Kirchenmusiker muss man einen inneren Impetus haben oder auch einen äußeren Anruf, dass man beschließt: Ich will in der Weitergabe des Glaubens und in seiner Feier durch meine musikalischen Begabungen meinen Beruf sehen.

Das heißt, der Beruf des Kirchenmusikers hat Zukunft?

Das ist nicht nur eine Verheißung, sondern ein Muss.

Was ist wichtig für eine gute Zusammenarbeit von Kirchenmusiker und Pastoralteam?

Wichtig ist sicher, wenn man sich mindestens bei großen Gottesdiensten gut miteinander abstimmt. Man sollte außerdem überlegen, wie man das katechetische Potenzial der Musik nutzen könnte. Wenn man zum Beispiel eine Andacht in der Adventszeit mit Musik in einer entsprechenden Kirche feiert, dann hat das eine indirekte katechetische Wirkung, die man nicht überschätzen kann. Ich bin kürzlich über einen Werbeslogan gestolpert, der hieß: Du bist, was Du erlebst. Ein Kern Wahrheit ist da sicher dabei. Das sollten wir nutzen.

In unserer Diözese engagieren sich fast 30.000 Menschen in Kirchenchören. Welche Bedeutung haben Kirchenchöre?

Sie bringen in einer ganz besonderen Weise Musik in die Mitte der Gemeinde. Und was mir dabei besonders gut gefällt: Die Gemeindemitglieder, die miteinander singen, lassen ihre Schwestern und Brüder im Glauben an ihrer Begabung teilhaben. Außerdem ist es für den Einzelnen ein Geschenk, seine Stimme auszubilden, denn ein guter Gesang bildet auch den Menschen in seiner Gesamtpersonalität. Das Dritte, das mir bei Kirchenchören wichtig ist: dass die Mitglieder lernen müssen, aufeinander zu hören. Das ist auch eine Einübung des Kirche-Seins – aufeinander hören, miteinander singen und dadurch verkündigen.

Stellen Sie sich vor, ein junger Mensch steht vor Ihnen, der sich überlegt, Kirchenmusik zu studieren – was würden Sie ihm raten?

Zunächst würde ich sagen, dass es viele Gemeinden gibt, die auf einen guten Kirchenmusiker warten. Und dass wir in unserer Glaubensverkündigung diese Dimension und diesen Dienst unbedingt brauchen. Dass eine Institution einen künstlerischen Beruf nicht nur zur Verschönerung von Veranstaltungen begreift, sondern in die Mitte des Glaubens, des Lebens und des Handelns als Kirche stellt, das ist eine bereichernde, attraktive Sache. Man kann sich mit seinem Instrument ausdrücken und andere Menschen damit erfreuen – ich kann mir wenig sinnstiftendere Berufe vorstellen.

       

Text: Alina Oehler (27) und Michael Schönball (26)