Spiritualität und Stille im Lärm der Stadt: Unter diesem Motto entsteht in Stuttgart ein neues Spirituelles Zentrum. Kirstin Kruger-Weiß (44), die das Projekt voll Begeisterung und Engagement leitet, erläutert im Gespräch Ziele, Chancen und Angebote der künftigen „station s”.

Frau Kruger-Weiß, wie kam es zu der Idee, ein Spirituelles Zentrum in Stuttgart zu gründen?

Das Spirituelle Zentrum „station s – Stille mittendrin“ soll für die Suchenden in der Stadt sein, die ihre spi- rituelle Heimat noch nicht gefunden haben oder vertiefen möchten. Es gibt viele Menschen, die zu uns kommen und sagen: „Ich suche ein spirituelles Angebot jenseits der Eucharistie und der klassischen Gemeindeformate und finde es nicht.“ Das ist eigentlich schade, da die christliche Tradition hier einen sehr reichen Schatz bietet. Diesem wollen wir einen verlässlichen Ort und somit neue Aufmerksamkeit und mehr Lebendigkeit schenken. Wir wollen diesen Schatz, wie etwa die christliche Mystik, heben, aber auch neue experimentelle Formate schaffen.

Welche Angebote soll es im zukünftigen Spirituellen Zentrum geben?

Fünf Säulen sollen das Zentrum tragen: Die erste lautet „Spiritualität und Alltag“, weil eine Spiritualität nur dann wirklich fruchtbar ist, wenn ich sie auch im Alltag leben kann. Alle Angebote sind deshalb nicht primär auf Regelmäßigkeit angelegt, sondern auch auf einen Gelegenheitsbesuch. Eine zweite Säule bezieht sich auf „Spiritualität und Kultur“. Dabei sollen Kooperationen mit den kulturellen Anbietern der Stadt geschlossen werden, um gemeinsam spirituelle Angebote im Bereich von Literatur, Musik, Kunst und Theater zu entwickeln, wie etwa Meditation von Kunst, Text oder Literatur. Die Mitte der fünf Säulen bildet die Stille: Über Meditation, Kontemplation oder weitere Körperübungen werden Wege angeboten, die aus dem Lärm des Alltags hinein in die Stille und zu sich selbst führen können. Auch das Gespräch spielt eine wichtige Rolle: Menschen sollen im Spirituellen Zentrum auch eine Anaufstelle für Gesprächsmöglichkeiten über ihr Leben und ihren Glauben finden. Die letzte Säule hängt mit dem hier verorteten kirchenmusikalischen Zentrum zusammen und bezieht sich auf den Bereich von „Spiritualität und Kirchenmusik“.

Die Kirche St. Fidelis wird dafür aufwendig renoviert. Welche baulichen Maßnahmen werden ergriffen, um die geplanten Angebote umsetzen zu können?

Es war ziemlich schnell klar, dass wir einen Meditationsraum benötigen werden. Bei der Suche nach einem geeigneten Platz waren wir uns einig, dass der Ort, an dem Gott auf ganz besondere Weise präsent ist, der Kirchenraum ist. Daher wird nun der Binnenchor zu einem Raum umgebaut, der thermisch und akustisch abschließbar ist, aber auch während der Zeit, in der kein Angebot stattfindet, geöffnet werden kann, um die Weite des gesamten Kirchenraums erlebbar zu machen. Im Zuge dieses Umbaus wird die Kirche so umgestaltet, dass der Raum heller und schlichter wirkt, sodass das Wesentliche besser zur Geltung kommen kann.

Da Sie gerade den Prozess ansprechen – welchen Herausforderungen musste und muss sich das Projekt stellen?

Neben den vielen baulichen Herausforderungen galt es, auch im Hinblick auf die Außenwahrnehmung, Missverständnisse auszuräumen, da durchaus die Sorge im Raum stand, dass wir ein Monopol auf Spiritualität errichten. Dies ist aber nicht unser Ziel, sondern wir wollen im Gegenteil – außer der Liturgie, die als Fundament des Christentums auch hier nicht fehlen darf – nichts an uns reißen, was es in Gemeinden oder anderen kirchlichen Institutionen bereits gibt. Es sollen hier viel mehr noch unbesetzte Bereiche belebt und durch Vernetzung auch spirituelle Angebote miteinander entwickelt und aufeinander verwiesen werden.

Welche Herausforderungen gibt es sonst noch?

Eine weitere und sicher immer wieder aufkommende Herausforderung ist wirklich offen zu sein für spirituelle suchende Menschen sowie andere Religionen. Unser Fundament, meine persönliche Kraftquelle, ist und bleibt dabei das Christentum. Die Notwendigkeit, neue spiritueller Formen gegen manch lautstarke Kritik zu rechtfertigen, ist etwas, mit dem wir umgehen müssen und dem wir uns stellen wollen, da Kirche offen sein muss für viele: für die, die in den traditionellen Angeboten ihre Heimat gefunden haben, aber auch für die, die sich davon nicht ansprechen lassen und auf der Suche nach neuen Zugängen zu Sinn, Spiritualität, Transzendenz und zu Gott sind. Dabei gilt es, bei aller Offenheit auch authentisch zu bleiben.

Wie, glauben Sie, kann dies gelingen? Welche Kriterien legen Sie an Ihre Veranstaltungen an?

Für mich ist ein sehr wichtiger Maßstab immer die Frage, ob das, was wir anbieten, mit dem christlichen Glauben und unserer reichen Tradition kompatibel ist. Oder spirituell gesprochen, ignatianisch gesagt: Es geht um die Unterscheidung der Geister. Was dient dem „magis“, einem tieferen Leben, einem Leben in Verbundenheit mit mir selbst, der Schöpfung, den Mitmenschen und mit Gott mehr?

Welche Chancen bieten Zentren wie dieses hier in St. Fildelis für einen lebendigen Glauben und eine lebendige Kirche?

Ich glaube, dass spirituelle Zentren generell viel zu einer Entschleunigung und einem achtsameren Leben beitragen können und so auch zu einem besseren Umgang miteinander. Und sie bieten eine große Chance, suchende Menschen zu erreichen. Ich treffe schon jetzt viele, die sagen: „Mit so einem Angebot erlebe ich eine Kirche, die wirklich offen ist und für mich auch Relevanz hat. Hier komme ich als Suchender vor, als jemand, der einfach kommen und gehen darf.“ Ich glaube die Art und Weise, wie wir hier Angebote gestalten und miteinander unser Leben und unseren Glauben teilen wollen, kann auch das Bild einer offenen und weiten Kirche mit prägen.

Was wünschen Sie dem Spirituellen Zentrum für die Zukunft?

Wenn Menschen in Stuttgart wissen, dass man hierherkommen, verweilen, Kraft tanken und zu sich und dadurch auch zu Gott finden kann, dann fände ich das etwas sehr Schönes. Damit wäre dann auch eine Vision von uns in Erfüllung gegangen.

 

Das Gespräch führte: Natalie Eichwald (25)

 

ZUR PERSON

Kristin Kruger-Weiß ist Pastoralreferentin und ist gemeinsam mit Pfarrer Stefan Karbach Leiterin des Spirituellen Zentrums in Stuttgart. Nach ihrem Theologiestudium in Tübingen und Dublin hat sie die Ausbildung zur Pastoralreferentin absolviert und war als solche in Stuttgart tätig. Neben der Ausbildung zur geistlichen Begleiterin hat sie zahlreiche Zusatzfortbildungen im spirituellen Bereich gemacht und freut sich nun sehr auf die Leitung vom Spirituellen Zentrum „station s”– welches am 2. Advent 2019 eröffnet wird.