Pastoralreferent Christoph Esser (47) ist Jugendseelsorger und hat in Ulm-Wiblingen eine Jugendkirche gegründet. Kevin Fischer (23) sagt, dass er dadurch wieder zum Glauben gefunden hat. Heute studiert er in Tübingen Theologie. Im Gespräch erzählen sie von ihrem Engagement, den damit verbundenen Herausforderungen und von besonders bewegenden Momenten.

Was ist wichtig für kirchliche Jugendarbeit?

ESSER: Mir ist wichtig, dass Jugendliche ihre Charismen auch wirklich entfalten können. Wenn jemand eine Idee hat, die mir erst mal fremd ist, weil das nicht mehr meiner Lebenswirklichkeit entspricht, aber er dafür brennt, dann gebe ich ihm Raum dafür. Was ich daher nicht leiden kann, sind Kinder- oder Jugendgottesdienste, wo man merkt, dass die Jugendlichen Texte vorlesen, die sie nie so sprechen würden. Mir ist sehr wichtig, dass sie hinter dem stehen können, was sie tun, und sich darin wiedererkennen. Außerdem ist mir wichtig, dass ich ansprechbar bin und die jungen Menschen wissen, dass sie das, was sie bedrückt, bei mir loswerden können, wenn sie es möchten.

FISCHER: Ich kann mich dem ersten Punkt anschließen. Es ist wichtig, dieselbe Sprache zu sprechen, also auf einer Augenhöhe zu kommunizieren. Das ist bei mir altersbedingt noch sehr leicht. Und dann auch zu zeigen, warum ich mich in der Kirche engagiere. Ich mach das ja nicht einfach, weil mir langweilig ist, sondern es steckt ja eine Motivation dahinter. Diese zu vermitteln, ist mir wichtig – zu zeigen, dass der Glaube eben nichts Veraltetes ist, sondern dass er auch im Heute für Jugendliche Relevanz hat.

Herr Esser, Sie haben die Jugendkirche hier in Ulm- Wiblingen aufgebaut. Was war Ihre Motivation?

ESSER: Der Hauptimpuls war tatsächlich die Inspiration aus Ravensburg als Vorreiter in unserer Diözese. Und für mich persönlich war es einfach der Wunsch, eine Kirche anzubieten, die für Jugendliche attraktiv ist, und damit einen Weg zu finden, Jugendliche mit religiösen Themen – auch in liturgischem Rahmen – vertraut zu machen.

Wie sieht diese Kirche aus, wie leben Sie dort gemeinsam den Glauben?

ESSER: Ich achte darauf, dass das Angebot sehr niedrigschwellig ist. Dass also Jugendliche, die mit Kirche nichts mehr am Hut haben, trotzdem einen Bezug finden können. Einmal im Monat feiern wir einen Wortgottesdienst, der mit Band oder Künstler gestaltet wird. Ein Drittel der Gottesdienstbesucher sind die Firmlinge, da wir die Firmkatechese in die Jugendkirche integriert haben. Die Firmlinge erfahren vor allem in diesen Gottesdiensten, was Glaube und Kirche-Sein heißen kann. Außerdem machen wir mit den Firmlingen von der Jugendkirche aus immer eine Paddelfreizeit auf der Donau, bei der wir an verschiedenen Stationen versuchen, dem Glauben auf die Spur zu gehen.

Wer bereitet die Gottesdienste der Jugendkirche vor?

ESSER: Das wechselt, also es gibt kein festes Team. Ich sorge dafür, dass es jeden Monat einen Gottesdienst gibt und schaue, wer da ist und Zeit hat, mitzumachen. Da kommen mal Studenten aus Tübingen, die sich engagieren wollen, oder eine Jugendgruppe sagt: Lasst uns mal einen Fußballgottesdienst machen. Das ist der große Unterschied zu Ravensburg, dass wir eben noch nicht institutionalisiert sind, sondern dass es sehr spontan und offen ist. Diese Offenheit ist mir auch wichtig. Wenn einer der Jugendlichen kommt und was mit Hiphop machen will und er überzeugt mich, dass da tatsächlich Esprit drin ist, dann machen wir einen Hiphop- Gottesdienst. Dabei lerne ich auch dazu. Ich finde es immer spannend, die Subkulturen von Jugendlichen zu integrieren. Wir haben auch schon einen Metal-Gottesdienst gemacht. Das ist jetzt alles nicht die Musik, die ich als Erstes in der Kirche spielen würde, aber wenn es spirituell aufgeladen ist und es jemanden gibt, der dafür brennt, dann bin ich mit dabei.

Kevin, du kommst aus Ulm und hast auch schon ein paar dieser Gottesdienste mit vorbereitet. Wie hat dich das Angebot der Jugendkirche erreicht?

FISCHER: Als Firmling. Also ich hab die Jugendgottesdienste damals wirklich geliebt. Dabei hatte ich zu der Zeit mit dem Glauben eigentlich nicht viel zu tun. Ich bin heute sehr dankbar, dass die Jugendgottesdienste für uns Firmlinge Pflicht waren – wer weiß, ob ich sie sonst für mich entdeckt hätte. Nach der Firmung bin ich dann regelmäßig mit meinen Kumpels freiwillig in die Jugendgottesdienste gegangen.

Das heißt, durch die Jugendkirche wurdest du plötzlich zum Kirchgänger?

FISCHER: Ja, tatsächlich. Es hat mich fasziniert, weil es nicht so alteingesessen war. Davor hab ich nämlich nicht so wirklich verstanden, warum man in den Gottesdienst gehen soll. Das hat mir irgendwie keiner erklärt. Aber bei der Jugendkirche hat es sich dann irgendwie von selbst erklärt. Es hat mich gepackt.

… das hält bis heute an, du engagierst dich auch wärend deines Theologiestudiums in Tübingen für die Jugendkirche in Ulm. Warum?

FISCHER: Ja, das begann vor vier Jahren. Damals hab ich mich bei einer Open-Air-Veranstaltung der Jugendkirche zu Christoph und den anderen ans Feuer dazugesetzt und dann hat sich das so ergeben. Ich wollte mich weiter einbringen, weil ich in der Jugendkirche sozusagen zum Glauben gefunden habe.

ESSER: Also ich hab das so in Erinnerung, dass du gesagt hast: „Die Jugendkirche ist ja ganz gut, aber man könnte das viel cooler machen. Ich könnte mir vorstellen, da einzusteigen.“ Und dann hat er es auch gemacht und war sehr ambitioniert mit dabei. Das Erste, das ihm wichtig war, war die Öffentlichkeitsarbeit. Ich hatte bis dahin immer einen Grafiker, der mir Plakate gestaltet hat. Kevin meinte dann, dass das „fresher“ sein müsste und hat seine Kamera geschnappt.

FISCHER: Und mir war wichtig, dass die Bibel einen Schwerpunkt bekommt, und zwar so, dass Jugendliche etwas damit anfangen können.

ESSER: Ja, auf der letzten Paddelfreizeit war es zum Beispiel sein Part, Jugendlichen, die eigentlich nur Paddeln wollten, von der Bibel zu erzählen.

Wo seht ihr beide Herausforderungen für die kirchliche Jugendarbeit?

FISCHER: Die Vorurteile, die in den Köpfen herumschwirren. Es ist herausfordernd, zu zeigen, dass Kirche und Glauben nicht so krass sind, wie viele denken. Mir ist es deshalb wichtig, zu zeigen, dass ich selbst gläubig und überzeugt davon bin, auch wenn ich nicht dem falsch verbreiteten Klischee entspreche.

ESSER: Eine weitere Herausforderung in der konkreten Arbeit ist es dann, die Leute so zu nehmen, wie sie sind – mit ihren Stärken und Schwächen. Und dann aber diese Schwächen nicht einfach hinzunehmen, sondern die Jugendlichen auch daran wachsen zu lassen und so die Grundlage für eine gute Gemeinschaft, die mir persönlich hier wichtig ist, zu stärken.

Neben all den Herausforderungen gibt es aber, wie ja schon angeklungen ist, auch sehr viel Schönes in der kirchlichen Jugendarbeit. Was sind die Highlights?

ESSER: Die gute Gemeinschaft und das Reisen. Wir machen alle zwei Jahre internationale Wallfahrten, wo wir die zunächst mal einfach nur spaßig klingende Reise auch spirituell aufladen und andere Länder und deren Glauben entdecken.

FISCHER: Ja, solche Events sind schon cool. Aber für mich persönlich sind es Highlights, wenn die Firmlinge oder auch andere Jugendliche auf mich zukommen und mir Fragen stellen. Wenn man es wirklich schafft, sie zu ergreifen, und sie von sich aus auf die Suche gehen und sich dann tiefe Gespräche über Gott und die Welt entwickeln.

Was wünscht ihr beiden euch für die Zukunft der Jugendkirche?

ESSER: Zurzeit ist mein Wunsch der Aufbau einer Anschlusskirche. Das heißt, dass es für die, die aus der Jugendkirche herauswachsen und sich in der normalen Gemeinde nicht mehr wohlfühlen, weiter ein Angebot gibt, das sie mit Ästhetik, Sprache und Inhalten anspricht. Sonst sind sie wahrscheinlich bis zur Familienphase aus der Kirche draußen. Da etwas zu finden, ist eine große Herausforderung und eines meiner Ziele.

FISCHER: Ich wünsche mir, dass die Jugendkirche in Ulm lebendig bleibt und ich es trotz des Studiums weiter schaffe, mich zu engagieren und hier auch etwas zu lernen – um vielleicht später auch mal selbst irgendwo so etwas auf die Beine stellen zu können.

ESSER: Das freut mich natürlich! Das ist genau das, was mir auch wichtig ist und was ich mir von den Jugendlichen wünsche: Dass sie merken, wenn sie mit Kirche unzufrieden sind, sie das nur ändern können, indem sie selbst mitmachen.

Info: Kevin Fischer zeigt sein Leben als Theologiestudent auf Instagram unter „theophilos.blog“.

Interview: Natalie Eichwald (23)