In der letzten Ausgabe von berufen stellten wir Ihnen das Kunstprojekt „Kein Maß kennt die Liebe“ der Franziskanerin Sr. Pietra Löbl vor. In dieser Ausgabe werfen wir einen Blick auf den Künstler Frederick Bunsen. Seit 2018 ist er Mitglied des Vorstands des Kunstvereins der Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V. Zahlreiche seiner Kunstprojekte finden sich in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen. Er lädt im Folgenden zu keiner Bildbetrachtung eines bestimmten Werkes ein, sondern gibt einen spannenden Einblick in den Entstehungsprozess seiner Bilder.

„Kommt, es steht alles bereit!“ (Lukas 14,17) oder „Meine sehr verehrten Damen und Herren …“: Im letzten Fall würde ich Sie so ansprechen, wenn ich Sie zu einer Kunst-Ausstellung eingeladen hätte. In beiden Fällen geht es im Grunde genommen um dieselbe Botschaft!

Somit käme es zu einer bedingungslosen Begegnung mit der bildenden Kunst und Sie kämen gewissen, künstlerischen Geheimnissen näher. Eine derartige Einladung ist keineswegs alltäglich. Und vielleicht bringt ein solcher Dialog mit Kunst und Künstlern überraschenderweise eine andere Lebenswirklichkeit mit sich.

Jeder, der mir im Leben begegneten Künstler und Künstlerinnen erfreut sich an den ersehnten Ergebnissen einer für die Schaffung seiner Kunst wichtigen Auseinandersetzung. Mit einer darauffolgenden Ausstellung signalisiert er nun, dass er in einen offenen Austausch über seine Werke eintreten will. Meine Erfahrungen zeigen, dass gerade solch eine Einladung als Katalysator wirkt, um eine ganze Reihe von inspirierenden Möglichkeiten in Gang zu setzen.

Alles nur „Schickimicki“? Wenn wir zunächst von ihrer überspannten Kommerzialisierung absehen, können bestimmte Formen der Kunst gewiss neue Lebensperspektiven eröffnen, vorausgesetzt, der Betrachter stellt sich auf die Extrameile in der Auseinandersetzung ein. Über jegliches „Glanz und Gloria“ des üblichen Kulturbetriebs hinweg könnte eine solche Einladung überraschend zu einer nüchternen Wirklichkeit jenseits unseres gegenwärtigen Denk- oder Handlungsschemas führen. Schon jetzt wird zu merken sein, dass dieses Rendezvous mit der Kunst spannend werden könnte.

 

Ich male …

Zu den klassischen Gattungen der Bildenden Kunst zählt die Malerei, die mein Leben als Künstler seit Jahrzehnten formt. Für den Leser wird es sicherlich interessant sein zu wissen, dass weltweit alle Kunstschaffenden dasselbe tun: Sie beobachten das eigene schöpferische Handeln, den fortschreitenden Zustand des Bildes und die Befindlichkeit des Selbst im Handeln während des Schaffens. Was meine ich damit?

In der Regel setze ich meine eigenen Farben an. Bei der Farbapplikation auf den Bildträger werden zwangsläufig Flächen und Linien gebildet. Beide sind ausdehnbare Bildformen, die sich in allen Variationen beim Malen leicht ändern lassen, so dass Unterscheidungen zugunsten des werdenden Bildkontextes getroffen werden können. Für den Künstler heißt es: Erproben, Zufälle beziehungsweise Optionen dann zulassen oder verwerfen. Bei diesem Spiel werden Farbformen dauernd verändert oder verworfen. Nach wie vor geht es immer um den Aufbau von Möglichkeiten mittels Flächen und Linien, die durch ihr Zusammenspiel einen Sinn aufkommen lassen. In diesem Augenblick kann das Bild für alle Betrachter erfreulicherweise zum lebendigen Medium werden.
Zur Klärung, wie beobachtet werden soll oder nach was der Betrachter im Bild Ausschau halten soll, kommen dieselben vorher erwähnten malerischen Fundamente in Betracht, die auch für die Bildführung eines Künstlers immer wieder von entscheidender Bedeutung sind: die Fläche und die Linie. Bis zum Ende eines Malprozesses werden sie fortwährend eingesetzt, um eine bildnerische Syntax zu schaffen, aus welcher der Künstler seinen nächsten Schritt im Malprozess vorausahnt.

Bemerkenswert ist, dass Künstler nicht nur ihre Handlung als solche beobachten. Sie sehen auch, wie sie handeln, und zwar so, dass ein konkretes Medium aus dieser Handlung hervorgehen kann, woraus auch Sie als Betrachter des Bildes einen Sinn gewinnen können.

 

Ein Bild vermittelt sich selbst

In seiner Anlage, sich selbst zu vermitteln, geht die Wirkung eines Bildes über die gängige Schilderung der Kunsttechnik und des Bildtitels hinaus. Dies geschieht nochmals mit unserer Fokussierung auf die Bild-Teilung, wie etwa die verschiedenen Flächen und Linien im Bild miteinander korrespondieren. Jede Fläche und jede Linie besitzt sozusagen ihren einzigartigen Ton-Klang, der gewissermaßen ins Bild hineinkomponiert wird und von dem ein gewisser Einklang beziehungsweise Sinn ausgeht.

Die Ästhetik jedes Bildes, ob für uns „schön“ oder „hässlich“, hängt also vom Wirkungsgrad seiner Komposition ab, nämlich wie der Künstler seine Bildräume strukturiert. Lerne ich ein Bild danach zu entschlüsseln, sehe ich womöglich dann erst das, was ich zuvor nicht zu sehen vermochte und einmal angefangen, hört diese Reise ins Bild nie auf!

Unsere Augen und unser Unterbewusstsein machen den Rest, indem sie einfach für uns ununterbrochen unterscheiden. So können verschiedene Bildmerkmale auf eine ganz natürliche Weise erkannt und, was die Einheit des Bildes angeht, in einen Zusammenhang gebracht werden. Solch eine Erfahrung versetzt jeden ins Staunen: Wir erfahren nämlich unsere eigene Fähigkeit, in einer gewissen Selbstverantwortung einfach unterscheiden zu können. Die Wahrnehmung von Raum und Bewegung im Bild führt zu weiteren Erkenntnissen, die gleichzeitig Platz für weitere Freude schafft. Im Großen und Ganzen sind es immer dieselben bildnerischen Bestandteile, die uns erneut befähigen, unsere Erfindungsgabe in und mit einem jeden Bild zu entwickeln.

Und nun möchte ich Sie hier schon ganz herzlich zu vielen Begegnungen mit der Kunst einladen.

 

Zur Person
Frederick Bunsen ist 1952 in El Paso in den USA geboren. Bis 1972 studierte er Malerei und Grafik in Amerika, danach setzte er sein Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart fort. Nach seinem Magister Artium legte Frederick Bunsen noch die Professur für Kommunikationstheorie und Zeitgenössische Malerei an der Universität für Kunst und Design in Rumänien ab. 2007 gründete er mit einer Kollegin dann die Art-Road-Way-Kunstschule am Schönbuch. Seit 2014 ist er Vorstandsmitglied an der Freien Kunstschule Stuttgart – Akademie für Kunst und Design.