Man muss schon genau in den liturgischen Kalender schauen, um Ende Januar den Heiligen Meinrad nicht zu übersehen: „Meinrad, Mönch auf der Reichenau. Einsiedler, Märtyrer“ ist dort zu lesen. Damit sind die wesentlichen Eckdaten aus dem Leben des Heiligen bereits zusammengefasst: Meinrad wurde um 800 im Sülchgau (heute Sülchen bei Rottenburg) geboren und als Kind auf die Klosterschule der Insel Reichenau geschickt, wo er später auch Benediktinermönch wurde. Nachdem der Reichenauer Abt Meinrad als Lehrer an den Zürichsee entsandt hatte, zog er sich als Einsiedler auf den Berg Etzel in die Stille und Abgeschiedenheit zurück. Als ihm diese Stille durch unzählige Besucher und Ratsuchende nicht vergönnt gewesen war, zog sich Meinrad weiter zurück in den „Finstern Wald“, wie die Vita des Heiligen berichtet. In einer kleinen Einsiedelei mitten im Wald verbrachte er 26 Jahre, empfing dort hin und wieder Besucher und sorgte für die Armen. Zwei Männer, die den Heiligen aufsuchten, von ihm aufgenommen und bewirtet wurden, erschlugen Meinrad in einem Hinterhalt. An der Stelle der Einsiedelei entstand das Kloster Einsiedeln, das die benediktinische Tradition im „Finstern Wald“ bis heute fortführt.

Eines beeindruckt mich an Meinrad besonders: seine Gastfreundschaft. Die Legende berichtet, Meinrad habe seine Mörder keineswegs naiv aufgenommen, sondern er habe ihre Absicht durchschaut und sie trotzdem aufgenommen. Der Heilige Benedikt, Meinrads Ordensvater, legte besonderen Wert auf die Aufnahme von Gästen: Alle Gäste sollen aufgenommen werden wie Christus, so schreibt Benedikt in seiner Ordensregel. Das ist ein ziemlicher Superlativ: Erstens sollen alle Menschen aufgenommen werden, egal welcher Herkunft oder Gesinnung, und zweitens soll ihnen begegnet werden wie Christus selbst. Das heißt nichts weniger, als dass mir im Fremden Gott begegnet. Eine Begegnung, die ich durch Engstirnigkeit, Misstrauen oder vorschnelles Urteilen auch verpassen kann.

Ist das nicht einfach nur naive Gutgläubigkeit? Ich glaube nicht. Menschen mit Offenheit und Wohlwollen zu begegnen, mag in der brutalen Logik der Welt manchmal durchaus naiv erscheinen. Mit den Augen des Glaubens betrachtet, ist diese Art der Gastfreundschaft hingegen ein tiefes Überzeugtsein davon, dass die Welt gut ist, so wie sie ist – trotz all ihrer Dunkelheiten und Abgründe. Und dass meine Mitmenschen gut sind, wie sie sind, weil sie von Gott als seine Geschöpfe erschaffen und geliebt sind.

In den Momenten, wo ich selbst erlebt habe, dass ich ohne Vorleistung einfach so angenommen und willkommen geheißen wurde, meine ich erfahren zu haben, wie Menschen aus der Weite des Glaubens heraus gehandelt und Vertrauen verschenkt haben. Wo Fremde aufgenommen werden, scheint hier und heute etwas auf von dem, was Jesus „Reich Gottes“ nennt. Das sagt mir der Heilige Meinrad auch heute noch. Für mich genau deshalb ein „Saint today“ – ein Heiliger für heute.

TEXT: FELIX MAIER (23)