Pater Augusty Kollamkunnel (47) ist seit 2020 Dekan des Dekanats Balingen. Im Interview berichtet er von seiner Berufung als Pfarrer, spricht über seinen Umzug von Indien nach Deutschland und über die vielfältigen Aufgaben eines Dekans.

Herr Kollamkunnel, zu welchem Zeitpunkt stand für Sie fest, dass Sie Priester werden möchten?
Die Entscheidung traf ich schon als Kind. Die Pfarrer haben mich immer fasziniert, weil sie freundlich und hilfsbereit waren. Zuhause habe ich nur Positives über Priester und Kirche gehört. Als ich älter geworden bin, wurde mein Wunsch, Priester zu werden, immer stärker. Nach meinem Schulabschluss bin ich dann mit 16 Jahren in den Prämonstratenserorden in Mananthavady in Kerala (Südindien) eingetreten, um Priester zu werden.

Wie sah Ihr Weg von Indien nach Deutschland aus?
Unsere Ordensgemeinschaft in Mananthavady wurde am 01. November 1979 von Villingen-Schwenningen aus gegründet, da der damalige Abt große Sorgen um sein Kloster hatte. Viele Mitbrüder waren krank und alt und es fehlte Nachwuchs. Das Ziel der Niederlassung war die Wiederbelebung unseres Klosters durch junge Mitbrüder aus Indien. Sein Traum wurde wahr. Heute nach 42 Jahren sind wir 84 Priester, die auf fast allen Kontinenten arbeiten. Darunter sind 17 Mitbrüder in Deutschland tätig; vier davon in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Haben Sie Ihre Ausbildung zum Priester in Indien anders erlebt als in Europa?Meine Ausbildung habe ich sowohl in verschiedenen Orten in Indien als auch in Innsbruck gemacht. Eine neue Sprache und eine neue Kultur sind normal für einen Inder, da Indien ein Land vielfältiger Sprachen und Kulturen ist. Die Ausbildung in Innsbruck war sehr gut mit vielen schönen Begegnungen, Eindrücken, Erlebnissen und Erfahrungen.
In der Regel ist die Ausbildung in Deutschland und Indien ähnlich. Ich glaube, in Indien dauert die Priesterausbildung ein bisschen länger, da wir das Abitur im Kloster absolvieren. Ich war zum Beispiel 13 Jahre in Ausbildung, bevor ich Priester geworden bin.

Hatten Sie in den ersten Jahren als Priester in Deutschland große Schwierigkeiten und wie sieht es heute aus?
In den ersten Jahren als Priester in Deutschland als Vikar und Pfarrvikar hatte ich überhaupt keine Schwierigkeiten. Ich habe große Unterstützung und viel Lob von allen Seiten erhalten. Alle haben mir geholfen und waren sehr froh und dankbar für meine Dienste.
Heute finde ich es schwierig, junge Menschen für Jesus und seine Kirche zu begeistern. Genauso schwierig ist es, genügend Menschen für die ehrenamtlichen Tätigkeiten zu finden. Als Pfarrer versucht man es immer allen recht zu machen, aber das schafft man nicht. Auch heute noch ist es für mich schwierig, auch mal „Nein“ zu sagen.

Wie hat Ihre erste Gemeinde einen Pfarrer aus Indien aufgenommen?
Ich habe, Gott sei Dank, nur positive Erfahrungen gemacht. Überall bin ich gut aufgenommen worden. Die Menschen haben mich sehr geschätzt und waren beziehungsweise sind dankbar für alles, was ich für sie als Priester getan habe und immer noch tue. Es ist sehr schön zu hören, wenn die Leute zu mir sagen: „Sie sind unser Pfarrer.“ Da spielt die Nationalität keine Rolle. Das ist das Tolle an unserer Kirche.

Im Jahr 2020 wurden Sie zum Dekan gewählt. Wie haben Sie sich nach Ihrer Wahl gefühlt?
Es war ein sehr schönes Gefühl, als ich gleich nach der Wahl die Zusage von fast allen Wählern bekommen habe, dass sie jederzeit bereit seien, mich zu unterstützen. Das erlebe ich gerade. Die Unterstützung und die Hilfsbereitschaft sind sehr groß. Bisher hat niemand gesagt, dass er oder sie irgendetwas nicht macht. Das gibt mir das Gefühl, dass ich nicht alleine bin. Wir gehören zusammen. Wir sind ein Team. Wir schaffen das miteinander und mit Gottes Hilfe.

Welche Aufgaben übernehmen Sie in diesem Amt?
Alles, was von einem Dekan erwartet wird: Amtseinführungen, Gespräche mit den Pastoralteams der Seelsorgeeinheiten, Austausch mit anderen Dekanen und Dekanaten, Gespräche und Veranstaltungen auf Landkreisebene, Caritas, BDKJ, Ökumene und regelmäßige Gespräche mit Krankenseelsorgern.

Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit?
Meine Arbeit als Pfarrer ist sehr abwechslungsreich. Ich gehe regelmäßig in die Kindergärten und unterrichte in den Schulen. Gruppenstunden mit den Ministranten, Seniorennachmittage, Geburtstags-besuche, Jubiläen, Wallfahrten und Gottesdienste gehören ebenso zu meinen priesterlichen Diensten wie Krankensalbung oder Trauerbegleitung. Ich schätze es sehr, dass ich rund um die Uhr für Gott und für meine Mitmenschen da sein darf. Das Vertrauen, das die Menschen mir gegenüber haben, ist unglaublich und erstaunlich.

Welche Herausforderungen sehen Sie in Ihrer Tätigkeit?
Ich sehe die Herausforderung in meiner Tätigkeit darin, das Evangelium in der heutigen Sprache überzeugend und glaubwürdig zu präsentieren. Viele meinen, dass uns die biblischen Geschichten nicht ansprächen und altmodisch seien. Die Kirche und ihre Sprache müssten modernisiert werden. Eine weitere Herausforderung ist, die Gläubigen, die das Vertrauen in die Kirche verloren haben, zurückzugewinnen.
Auch die Weitergabe des christlichen Glaubens in der heutigen Zeit ist eine große Herausforderung – speziell die Weitergabe an die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, da die meisten mit unserer Kirche und mit unserem Glauben keine Berührung mehr haben.

Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf die seelsorgerische Arbeit?
Ob Erstkommunion- oder Firm-Vorbereitung – alles wird digital. Obwohl das alles viel besser ist als nichts, finde ich das sehr schade für unsere Kinder und Jugendlichen. Zudem werden die Gottesdienste immer leerer. Viele ehemals treue Kirchenbesucher wagen es seit fast zwei Jahren nicht mehr, in Präsenz am Gottesdienst teilzunehmen. Ich habe Zweifel, ob unsere Senioren oder älteren Menschen in den Pflegeheimen die Anwesenheit der Kirche in der letzten Zeit richtig gespürt haben, da vieles in den Heimen nicht möglich war. Wir hatten kaum Möglichkeiten, unseren älteren Mitmenschen nahe zu sein.

Eine ebenso große Herausforderung für die Kirche sind die fehlenden Priester. Wie erleben Sie den Priestermangel und die damit verbundene fehlende Zeit für die Seelsorge?
„Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter“, sagt Jesus im Evangelium. Und das ist wahr. Es gibt viel zu tun. Die Menschen brauchen Priester und Seelsorger, die sich Zeit für sie nehmen. Oft ist es sehr schwierig, da man einen Kalender voller Termine hat. Man kann heute seine Sache nur erledigen und schauen, dass das Geschäft läuft. Für eine echte Seelsorge bräuchte man noch viel mehr Zeit.

Was würden Sie Jesus gerne fragen, wenn Sie ihn träfen?
Meine Fragen an Jesus wären, warum er oft schweigt und warum er so viel duldet.

Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft der Kirche?
Leider hat die Kirche in den letzten Jahren ihren Ruf und ihre Glaubwürdigkeit verloren. Darum wünsche ich mir für die Zukunft der Kirche viele Christen, gute Vorbilder jeden Alters, die das Evangelium in die heutige Zeit bringen können und es vorleben.

TEXT: JAKOB RAGER (24)