„Ganz schön fromm“:  Diese Worte können sich auf einen Menschen beziehen, den seine Mitmenschen als „streng gläubig“, vielleicht sogar als bigott ansehen, zumindest ist es nichts, was attraktiv wäre.

„Ganz schön fromm“ wirken für viele auch religiöse Events wie eine Zeltmission, die den persönlichen Glauben der Anwesenden wecken wollen. Wenn wir den Satz wörtlich nehmen, lässt sich fragen, ob Frömmigkeit überhaupt schön sein kann? Denkt man da nicht eher an lebensfremde Moral, an strenge Gesetze und langweilige Gottesdienste? Und der ganze Kitsch in der Weihnachtszeit hat doch erst recht nichts mit echter Schönheit zu tun. Andererseits sind doch Advent und Weihnachten für viele nach wie vor die schönste Zeit des Jahres, wo die Wohnung schön geschmückt ist, schöne Düfte und schön geschmückte Stände auf Weihnachtsmärkte locken und schöne Musik gehört und manchmal auch selbst praktiziert wird. Und wie viele Krippenlandschaften sind schön gestaltet mit einem immer schönen Jesuskind? Und die Gottesdienste werden gerade an Weihnachten besonders feierlich gestaltet mit Kerzen, Weihrauch und Musik, dass auch viele, die sonst keine Kirche betreten, sie schön finden können. Ganz schön fromm? Kann Frömmigkeit womöglich doch etwas Schönes sein? In der griechischen Sprache wird für das Wort „schön“ „agatos“ verwendet, was ebenso mit „gut“ übersetzt werden kann. Das Wort „agatos“ verbindet Ethik und Ästhetik, Soziales und Kultur, Liturgie und Diakonie, was bei uns oft streng getrennt ist. Doch an Weihnachten verbindet sich „gut“ und „schön“ manchmal leichter als sonst: Nach wie vor sind Menschen in dieser Zeit spendenbereiter als sonst, spüren vielleicht intuitiv, dass sie nicht nur schön feiern, sondern auch was Gutes tun wollen. Ein besonderes Beispiel für diese Verbindung zeigt die weltweite christliche Gemeinschaft Sant‘ Egidio: Sie veranstaltet nämlich seit 40 Jahren ein Weihnachtsmahl, das zunächst in ihrer Ursprungskirche in San Trastevere in Rom und inzwischen in vielen anderen Kirchen und weiteren Orten in der Welt stattfindet. Zu diesem Weihnachtsmahl sind Menschen eingeladen, die sich keinen Restaurantbesuch leisten können, die keine Familie und womöglich kein Zuhause haben. Die Tische in der Kirche sind festlich gedeckt. Hier ist es schön und gut für die Gäste, „unsere Freunde von der Straße“, wie sie die Gemeinschaft Sant‘ Egidio nennt und ebenso für die Gastgeber. Ganz schön fromm das Ganze!

Dr. Michael Schindler ist Pastoralreferent in Ravensburg, Familienvater, tätig in der Gemeinde- und Cityseelsorge und als Religionslehrer im Gymnasium.