Unter jungen Menschen hat das Theologiestudium vermutlich keinen so guten Ruf. Dabei sind es meist Vorurteile, die diesen hervorgerufen haben, meint Daniela Blum. Sie hat selbst Theologie in Tübingen studiert und ist nach ihrer wissenschaftlichen Mitarbeit nun Professorin für Kirchengeschichte in Aachen an einer technischen Hochschule. Im Interview möchte sie Vorurteile abbauen und erzählt von ganz neuen Perspektiven im Bereich der Theologie.

Frau Blum, Sie sind seit Februar Professorin für Kirchengeschichte in Aachen. Warum lohnt sich Ihrer Meinung nach auch heute ein Theologiestudium?
Es braucht verschiedene Zugänge zur Wirklichkeit, gerade in einer diversen, multireligiösen Gesellschaft, auch geisteswissenschaftliche Zugänge und solche, die die Frage nach Religion, Glaube, Sinn, Selbstdeutung und Unverfügbarkeit in den Diskurs einspeisen. Daneben bin ich überzeugt, dass ein Studium der Theologie Menschen in vielerlei Hinsicht qualifiziert. Sie können Texte verschiedener Sprachen analysieren und haben sich ein philosophisches und historisches Wissen, kulturwissenschaftliche und juristische Methoden angeeignet. Das ist multifunktional einsetzbar.

Katholische Theologie wird in Aachen an einer technischen Hochschule gelehrt. Klingt nach einem spannenden Milieu?
Ist es. Hier stellt sich die Plausibilitätsfrage anders als an einer geisteswissenschaftlich breit aufgestellten Universität. Wenn man Menschen aber davon überzeugt hat, dass man auch als Theologin keine Fundamentalistin ist, gelingen spannende Diskurse, aktuell zum Beispiel mit der Fakultät für Architektur über die Frage nach Kirchengebäuden und zukunftsfähigen Nutzungskonzepten.

Was bedeutet Berufung für Sie? Gibt es so etwas überhaupt?
Berufung ist ein starkes Wort. Aber ich glaube schon, dass ich eine tragfähige Idee vom Sinn meiner Arbeit mit Studierenden und in der Forschung habe. Und sie fühlt sich mal nach großem Geschenk, mal nach hoher See an – ich glaube, das ist auch nicht untypisch für Berufung, oder?

Sie haben in Tübingen und Rom studiert. Wenn Sie an Ihr Studium zurückdenken, was ist Ihnen besonders in Erinnerung?
Ich habe das Theologicum als Lebensraum erfahren, die Veranstaltungen in den Seminarräumen, die Begegnungen in der Cafeteria und im Garten, stundenlanges Lernen in der Bibliothek. Und retrospektiv vermisse ich vor allem die Bibliotheken und ihre Ressourcen, auch die UB, die sich im Laufe meines Studiums zu einem tollen „Dritten Ort“ entwickelt hat, einem Knotenpunkt. Und in Rom? Da habe ich mehr gelebt als studiert …

Wenn Sie auf Ihre Studierenden blicken: Was motiviert junge Menschen heute zum Studium der Theologie?
Bei uns stellt sich die Frage vor allem im Hinblick auf die Lehramtsstudierenden, den volltheologischen Studiengang gibt es hier nicht. Und da merke ich: Oft brauchen sie noch ein gutes zweites Fach, da ist Reli eine Option, auch weil Religionsunterricht als Ort von Kreativität und Sinnsuche gilt.

Kann man Theologie studieren, ohne selbst gläubig zu sein?
Selbstverständlich. Wir haben hier in Aachen einen Bachelor „Gesellschaftswissenschaften“. Die Studierenden, viele säkular sozialisiert, andere muslimischen Bekenntnisses, bemerken oft erst im Laufe ihres Studiums, dass die Theologie an diesem Studiengang beteiligt ist. Und auch hier: Wenn man sie davon überzeugen kann, dass die Theologie interessante Fragen stellt, ergeben sich tolle Seminare.

Was sind für Sie die größten Herausforderungen in Ihrer Tätigkeit als Professorin?
Vorurteile gegenüber der Theologie abzubauen. Vorurteile von Kolleginnen und Kollegen an der Universität; von Studierenden, die – wie oben beschrieben – nicht damit rechneten, in die Theologie hinein- zugeraten; von Kooperationspartnern in Kultur und Öffentlichkeit.

Gibt es etwas, das Sie Ihren Studierenden auf ihrem beruflichen Weg besonders mitgeben oder vermitteln möchten?
Für mich ist Theologie vor allem die Analyse gegenwärtiger und vergangener Selbst- und Weltdeutungen, die Reflexion auf Glaubenspraktiken und -über- lieferungen. Den Respekt vor unterschiedlichen Glaubenspraktiken, aber auch ihre theologische Relevanz möchte ich vermitteln.

Seit einigen Jahren gibt es in Aachen einen neuen Master-Studiengang „Theologie und globale Entwicklung“. Was hat es damit auf sich?
Der Studiengang ist einerseits entstanden, weil es damals eine solche Ausrichtung auf development studies im theologischen Ausbildungsfeld in Deutschland nicht gab, andererseits, weil Missio und Misereor in Aachen ihre Standorte haben und wertvolle Kooperationspartner sind. Der Studiengang fragt danach, wie im globalen Zusammenleben die Würde aller Menschen und der Schutz der natürlichen Ressourcen gestaltet werden kann. Das sind hochaktuelle Fragen. Interessanterweise kommen die meisten Studierenden mit einem nicht-theologischen Bachelor; dieser Hintergrund macht die Arbeit mit diesen Gruppen zu einem interdisziplinären Ereignis.

Welche Berufsperspektiven haben Studierende dieses Programms?
Viele lockt in der Entscheidungsphase für den Studiengang zunächst die Entwicklungszusammenarbeit. Dort sind inzwischen auch die ersten Absolventinnen und Absolventen angekommen, in Organisationen, Hilfswerken oder in der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit. Aber interessanterweise sind auch viele Studierende in Unternehmen, im Personalmanagement oder in der Unternehmensberatung beschäftigt – ein Bereich, in dem Theologinnen und Theologen offensichtlich auch ihren Weg finden können.

Wie steht es um „praktische“ Elemente innerhalb des Studiums? Was halten Sie von dualen Modellen?
In diesem Master ist eines von vier Semestern für ein Praktikum reserviert. Also kein klassisch duales Modell. Im Hinblick auf duale Modelle bin ich zwiegespalten: Praktika sind wertvolle Erfahrungen und sie produzieren wichtige Kontakte. Aber ich hänge auch noch der altmodischen Vorstellung an, dass ein Studium einen Raum der Freiheit bieten sollte, der im späteren Leben nicht mehr gegeben ist. Deshalb sehe ich auch die Praxis in NRW kritisch, dass viele Lehramtsstudierende bis zu 12 Schulstunden in der Woche unterrichten. Da kommt nicht nur das Studium zu kurz, sondern auch das studentische Leben. Und in der Schule können sie die nächsten 40 Jahre noch arbeiten. Aber ich weiß natürlich, dass es oft finanzielle Aspekte sind, die zur Arbeit zwingen.

Nun gehen die Zahlen nicht nur der pastoralen Berufe, sondern auch des wissenschaftlichen Nachwuchses zurück. In den kommenden Jahren wird für jede freiwerdende Professur nur ungefähr ein/e Kandidat/in für die Besetzung zur Verfügung stehen. Was ist hier zu tun?
Gute Studierende auf alle Fälle für eine Promotion begeistern und ihnen dabei helfen, diese Promotionsphase vernünftig zu finanzieren. Eine Promotion qualifiziert auch für andere Bereiche außerhalb der Hochschule. Und während der Arbeit an einer Promotion kann man Blut lecken; so war es jedenfalls bei mir. Ich finde aber auch wichtig, Menschen nicht zu einer akademischen Laufbahn zu überreden, die ihnen zu risikobehaftet erscheint. Außerdem brauchen wir alternative Berufsfelder für habilitierte Theologinnen und Theologen, also einen attraktiven Plan B.

Was würden Sie Menschen mit auf den Weg geben, die sich für einen Beruf in der Kirche oder der akademischen Theologie interessieren, die vielleicht eine Berufung bei sich spüren?
Ich bin zutiefst überzeugt, dass junge Menschen das studieren sollten, was sie interessiert. Das wirkt am Ende überzeugend. Ich würde aber immer dazu raten, sich nicht auf ein Berufsbild zu fixieren – dafür kann in einem Studium zu viel passieren und das ist gut so.

ZUR PERSON
Daniela Blum studierte Katholische Theologie, Politikwissenschaft und Psychologie in Tübingen und Rom. Bis 2014 war sie Kollegiatin des Graduiertenkollegs „Religiöses Wissen“ und anschließend Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. 2019 bis 2022 war sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Diözesanmuseum Rottenburg tätig. Im Februar 2023 wurde sie zur Professorin für Kirchengeschichte am Institut für Katholische Theologie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen ernannt.

TEXT: FELIX MAIER (24)