Weltkirche bereichert uns, davon ist Domkapitular Paul Hildebrand überzeugt. Im Interview spricht der Leiter der Hauptabteilung Pastorales Personal über Chancen und Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit Priestern und Ordensleuten aus dem Ausland.

 

In den letzten Jahren wird viel über Integration gestritten – in der Diözese Rottenburg-Stuttgart sind mittlerweile ein Drittel der Priester ausländischer Her- kunft. Kann die Welt hier von der Kirche lernen?

Das glaube ich schon. Über die letzten Jahrzehnte haben wir viele positive Erfahrungen gemacht, angefangen von den „nationalsprachlichen Missionen für die Gastarbeiter“ der 60er Jahre bis zu den Gastpriestern aus Indien und Afrika heute. Natürlich muss man sehen, dass wir eine gemeinsame Grundlage haben – das Evangelium. Für uns als Christen ist jeder Mensch gleich viel wert und hat die gleiche Würde. Dazu kommt eine gemeinsame sakramentale Praxis. Das ist eine religiöse Grundlage, die es in der Gesellschaft so nicht automatisch gibt, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen zusammenkommen. Das ist sicher ein Vorteil.

Ist der verstärkte Einsatz von ausländischen Priestern eine Antwort auf den Priestermangel?

Kritische Anfragen dieser Art kommen von manchen Hauptamtlichen, aber auch aus Rom. Das kann natürlich nicht allein Antwort sein. Wir laden bewusst Menschen anderer Kulturen zu uns ein, weil wir Weltkirche sind und uns das bereichert. Jeder, der kommt, ist für uns ein Geschenk. In der Regel machen wir das auf Zeit. Die Priester sollen im Idealfall nach zehn Jahren wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Ich finde es tatsächlich schräg, wenn Länder Priester zu uns senden, obwohl sie einen noch viel größeren Priestermangel haben. Dann bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil das für mich eine neue Form von intellektuellem Kolonialismus ist, wenn wir deren Elite zu uns holen und bei uns behalten wollten. Aus diesen Gründen sagt unser Bischof auch, dass eine bestimmte Prozentzahl geht, aber nicht mehr. Wir müssen unsere Probleme hier selbst lösen.

Sie haben vorhin die muttersprachlichen Gemeinden angesprochen – wie haben Sie deren Entstehung damals erlebt?

Ich stand damals für ein Praktikum bei Daimler mit den ersten Gastarbeitern gemeinsam am Band. Das gemeinsame Arbeiten von deutschen und ausländischen Kollegen hat Brücken gebaut. Für die Seelsorge damals wurden die verschiedenen ausländischen Missionen eingerichtet: die italienische, die spanische, die polnische und die kroatische, um für die Menschen zunächst mal in ihrer Sprache da zu sein. Von Anfang an war es Ziel, keine Ghettos entstehen zu lassen, sondern, dass die deutschen Gemeinden Kontakte aufbauen. Bei der Bildung der Seelsorgeeinheiten wurden die „ausländischen Missionen“ in muttersprachliche Gemeinden umgewandelt. Jetzt werden diese vom Pfarrer zusammen mit einem gewählten Pastoralrat geleitet. Aus rechtlichen Gründen, aber vor allem, um die Zusammenarbeit zu fördern, haben viele deutsche Gemeinden eine muttersprachliche Gemeinde „huckepack“ genommen. Die Zusammenarbeit kann da und dort noch verbessert werden.

Um ausländischen Priestern und Ordensleuten den Start zu erleichtern, gibt es ein ganzes Kursprogramm, in dem sie einsatzbegleitend auf ihren Gemeindedienst vorbereitet werden. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Ja, seit 2010 haben wir das Erlernen der deutschen Sprache kontinuierlich intensiviert. Nach halbjähri- gem Sprachkurs werden sie einer Gemeinde anvertraut und monatlich zu pastoralen Einführungskursen zusammengerufen. Damit machen wir sehr gute Erfahrungen, die allermeisten sind hochmotiviert. Sie verstehen sich als Missionare, die den Glauben nach Deutschland zurückbringen. Dazu müssen sie sich stark auf die Menschen hier einlassen können. Das ist eine ungeheuer große kulturelle Leistung, vor der ich großen Respekt habe.

Als die Kurse eingeführt wurden, hieß es, dass eine zentrale Rolle das Thema „kooperative Pastoral“ spielen soll. Was ist damit gemeint?

Ja, diese Arbeitsweise wollen wir unseren ausländischen Mitbrüdern unbedingt nahebringen. Es geht darum, das ganze Volk Gottes in seiner Taufgnade und Taufwürde ernst zu nehmen. Darum, dass Glaubensweitergabe keine Einbahnstraße ist, sondern ein dialogischer Austausch. Jede und jeder Getaufte soll sich nach seinem Charisma einbringen können. Das ist der Grundgedanke – und für manch einen erst mal ungewohnt, weil der Priester gerade im indischen oder afrikanischen Kontext eine hohe Autorität ist, der vieles alleine oder mit anderen Strukturen im Hintergrund verantwortet.

Trotz der kulturellen Unterschiede fragen wir uns: Liegt darin nicht auch eine Bereicherung?

Klar, für unsere deutsche Kirche ist das natürlich Weltkirche live. Und auch manchmal Fremdheit live. Es wachsen Beziehungen, das hat eine integrative Kraft und weitet den Horizont unserer Menschen, unserer Gemeindemitglieder. Das sollte man nicht unterschätzen.

Für eine Studie haben 606 ausländische Priester einen Fragebogen ausgefüllt. Sie wurden nach ihren Gründen gefragt, warum sie nach Deutschland gekommen sind. Mit über 70 Prozent ist der meistgenannte Grund: „Mein Bischof/Ordensoberer hat mich geschickt“. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?

Das ist gemischt. Ich habe vorhin die Missionare erwähnt, die sagen: Wir haben das Evangelium von euch bekommen, wir bringen es euch zurück. Das ist eine Motivation, die ich bei sehr vielen wahrnehme. Aber natürlich gibt es auch die Ordensgemeinschaften mit vielen Mitgliedern, die sagen: Wir stellen euch unsere Potentiale zur Verfügung.

Entstehen durch die Mitarbeiter aus dem Ausland auch Kooperationen mit deren Herkunftsländern?

Natürlich fördert das auch die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Gemeinden hier und dort. Viele Priester und Ordensleute bringen tolle Projekte aus ihren Heimatländern mit. Manchmal passiert es auch, dass ein ausländischer Pfarrvikar mit Leuten aus der Gemeinde in seine Heimat reist und so der Austausch gefördert wird.

Haben Sie sich selbst einmal ein Bild von den Herkunftsländern gemacht?

Ja, ich war in den letzten Jahren in Indien, in Südamerika und auch in Afrika. Ich wollte spüren: Woher kommen unsere Mitbrüder? Wie wachsen sie auf? Welche Kirchenerfahrung haben sie? Seither habe ich noch größeren Respekt. Ich ziehe meinen Hut vor Mitbrüdern, die bei uns eine leere oder halbleere Kirche vorfinden und dort aus einer Gemeinde kommen, wo morgens um sieben die ganze Kirche voll Frauen, Männer, Kinder, Jugendlicher ist und am Sonntag zehn Gottesdienste sind, die ebenfalls voll sind. Das ist fast übermenschlich, welchen Kontrast sie dann hier erleben müssen.

Vor ein paar Jahren sagte Bischof Gebhard Fürst: „Wir haben jedes Jahr mehr Anfragen, als wir Priester aufnehmen können.“ Ist das immer noch so?

Ja. Es ist so, dass wir monatlich Angebote bekommen. Wir wählen dann danach aus, wo es gute Beziehungen gibt, wo man gute Erfahrungen gemacht hat, nehmen aber auch mal neue Verbindungen auf.

Nun arbeiten nicht nur Priester aus dem Ausland hier bei uns. In dieser Ausgabe von „berufen“ stellen wir eine italienische Pastoralassistentin und einen amerikanischen Diakon vor. Sind sie Ausnahmen?

Bisher sind das eher abzählbare Personen, ja. Aber es nimmt zu – sowohl bei den Gemeindereferenten als auch bei den Pastoralreferenten, dass junge Menschen sich ausbilden lassen, die aus einem anderen muttersprachlichen Hintergrund kommen.

Gibt es für pastorale Mitarbeiter andersherum die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen?

Ja, in den sogenannten kategorialen Diensten. Dazu kann ich eine Anekdote erzählen: Beim Zweiten Va- tikanischen Konzil saß Bischof Leiprecht neben einem südamerikanischen Bischof. Der hat ihm jeden Tag eine Zettel rübergeschoben: „Schicke mir zwei Priester.“ Das hat ihn so beeindruckt, dass nicht wenige Mitbrüder später tatsächlich die Koffer gepackt haben. Seither gibt es diese Möglichkeit. Außerdem haben wir Diakone und Gemeindereferenten im Ausland und Priester in deutschen Gemeinden, momentan in Paris, Singapur und Sydney. Das werden wir aber künftig zurück fahren müssen, weil wir die Priester hier bei uns brauchen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, als Militärseelsorger die Bundeswehr bei Einsätzen ins Ausland zu begleiten. Momentan bilden wir dazu zwei Frauen aus, das läuft über das Militärseelsorgeamt Berlin.

Welche Rolle wird das Thema „Weltkirche“ in der Zukunft einnehmen?

Eine große. Wir beobachten ja gerade auch bei jungen Menschen verstärkt ein Interesse am Ausland. Ich finde es ist ein Reichtum, in dieser Weltkirche Erfahrungen der Gemeinschaft zu machen. Gerade wir in Deutschland müssen aufpassen, nicht zu individualistisch zu sein, zu wenig gemeinschaftlich zu leben. Das Ich wächst am Du! Da können wir von anderen Kulturen viel lernen und auch deshalb sind der Austausch und das gemeinsame Arbeiten und Erleben so wertvoll.

INFO

Im Moment sind etwa 200 Priester und Ordensleute aus dem Ausland in der Diözese Rottenburg-Stuttgart eingesetzt. Sie kommen dabei vor allem aus Indien und Afrika. Bevor sie in einer Gemeinde arbeiten, absolvieren sie in der Regel einen Sprachkurs und eine pastorale Ausbildung.

Das Gespräch führten Alina Oehler (27) und Maximilian Maguiera (21)