Tabea Maillet (31) ist seit September 2022 Jugendseelsorgerin und Pastoralreferentin am Jugendpastoralen Zentrum „YouCh“, welches eine zentrale Anlaufstelle für junge Menschen ist, in der Stuttgarter St. Nikolaus Kirche. Im Interview mit berufen gab sie Einblicke in ihren Glauben, der sie bei der Arbeit begleitet, und die aktuellen Herausforderungen in der Jugendseelsorge.

Wie war dein Weg bis hierhin und wie kamst du zur Jugendarbeit?
Ich bin in Hohenlohe groß geworden, dort zur Kommunion gegangen und dann Ministrantin geworden. Irgendwann habe ich angefangen die Ministrant* innen zu leiten und dadurch bin ich zu Zeltlagern von der BDKJ Ferienwelt gekommen. Das hat mir Spaß gemacht, weil ich dort Freunde fand und von den Hauptamtlichen in meiner Entwicklung unterstützt wurde.
Beruflich wollte ich eigentlich etwas anderes machen, bis mir eine Gemeindereferentin sagte, dass man mit dem, was ich hier mache, auch Geld verdienen könne. Sie hatte mir geraten Theologie zu studieren. Mein Vorhaben, Theologie zu studieren, wurde noch durch meine Erfahrungen von Weltkirche in Südafrika gestärkt, die ich nach meinem Abitur sammeln durfte. Die dort erlebte Lebendigkeit von Kirche faszinierte mich und bestärkte meine Entscheidung. Mit dem Ziel, Pastoralreferentin zu werden, begann ich das Studium in Tübingen. In dieser Zeit habe ich häufig gezweifelt und mich gefragt, warum ich mich durch diese Hausarbeiten quäle, die Hälfte der Prüfungsinhalte direkt vergesse, und ob ich das alles überhaupt möchte. Möchte ich für diese Institution arbeiten und dadurch das System unterstützen? Möchte ich immer für andere Menschen da und erreichbar sein? Im Bewerberkreis habe ich Menschen kennengelernt, die das Gleiche dachten und nicht in das stereotype Bild eines Pastoralreferenten oder einer Pastoralreferentin passten. Als ich dann mitbekam, dass diese Menschen ihre Assistenzzeit begannen, wollte ich es auch probieren.
Während ich im Studium häufig das Gefühl hatte, dass sich in der Kirche nichts tut und ich zu laut und anstrengend bin, merkte ich in meiner Assistenzzeit, dass es in der Kirche für ganz unterschiedliche Menschen einen Platz gibt. Viele Menschen zeigen, dass Kirche nicht nur regelkonform sein muss, sondern auch kreativ sein kann. Ich merkte, dass ich gerne Seelsorgerin bin und Kirche häufig bunter ist als sie scheint. Ich habe einen Draht zu Menschen und ich kann ihnen von meiner Hoffnung und dem Evangelium erzählen.

Dann war die Stelle hier im YouCh ausgeschrieben. Eine Arbeit, die neben der klassischen Gemeindearbeit neue Horizonte für mich eröffnete: Jugendliche in ihrem Selbstfindungsprozess begleiten zu können. Das fand ich ein unglaublich schönes Feld für mich, weil ich nicht nur viel frei gestalten kann, sondern es auch muss, da ich sonst die Jugendlichen nicht erreiche. So bin ich hier gelandet.

Von welchen Aufgaben ist dein momentanes Arbeitsfeld geprägt?
Seit September habe ich meine erste Stelle inne, die sich in die Jugendseelsorge und einen Gemeindeanteil aufteilt.
In der Gemeinde übernehme ich klassische Gemeindearbeitsaufgaben wie Beerdigungsdienste, Wortgottesfeiern oder Predigtdienste. Diesen Teil meiner Arbeit möchte ich nicht missen, da ich zum Beispiel unglaublich gerne für die Angehörigen von Verstorbenen da bin und sie bei der Beerdigung begleite.
Der Aufgabenbereich der Jugendseelsorge im YouCh ist Teamarbeit. Meine Kollegen und ich können den Bereich frei gestalten. Zu Beginn waren wir in der Jugendseelsorge noch viel mit Netzwerken beschäftigt und haben Menschen kennengelernt, die in der Jugendarbeit aktiv sind. Für uns war es wichtig zu wissen, was sie machen, und zu zeigen, wer wir sind und was wir für Ideen haben. Zusammen mit der Evangelischen Jugend und mit der evangelisch-katholischen Stadtseelsorge hatten wir auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt unsere erste kleine Aktion. Wir haben dort Kerzen verteilt und den Menschen angeboten, ein Licht mit Segensspruch anzuzünden.

Wie können Jugendliche durch Angebote noch erreicht werden?
Unser großer Schatz ist, dass hier im YouCh vor uns lange Zeit die Salesianer waren und viel angeboten haben. Dadurch gibt es Leute, die immer wiederkommen. Außerdem kommen viele aus den Verbänden, an die man gut anknüpfen kann.
Aber natürlich fragen wir uns, wie wir andere Jugendliche ansprechen können und ob sie überhaupt angesprochen werden wollen. An sie ranzukommen ist schwieriger. Jugendarbeit lebt von aufgebauten Beziehungen, die den Jugendlichen zeigen, dass wir vielleicht ganz cool sind. Wir müssen ihnen auf Augenhöhe begegnen und ihnen durch unsere Angebote Möglichkeiten anbieten. Denn wir in der Jugendseelsorge müssen auf sie zugehen. Wir können nicht erwarten, dass sie von allein auf uns zukommen. Sie müssen unsere Arbeit als positiv erfahren, damit sie wiederkommen. Das ist anspruchsvoll und oft stellt sich die Frage, wodurch sie erreichbar sind.
Eine Möglichkeit ist, gemeinsame Themen, wie beispielsweise Umweltschutz, zu finden. Als Seelsorgerin und Theologin gehört es zu meinem Auftrag, da es um die Bewahrung der Schöpfung geht. Und auch wenn die Jugendlichen und ich eine unterschiedliche Motivation haben, uns für den Umweltschutz einzusetzen, haben wir doch schon ein gemeinsames Thema, über das wir reden können. In Schulkassen bieten wir zum Beispiel Workshops zum Thema „Fairer Handel“ an: Woher kommt meine Jeans? Und was steckt in und hinter meinem Handy? Wenn Jugendliche diese Begegnungen und Workshops als positiv erfahren, kommen sie möglicherweise auch einmal zu anderen Angeboten und wir können gemeinsam für ihre eigenen Themen aktiv werden.

Was sind momentan die größten Herausforderungen?
Aus seelsorgerlicher Sicht auf jeden Fall die Identitätskrisen der Jugendlichen. Fragen wie: In was für einer Welt wachse ich auf und ist meine Zukunft sicher? Sicher im Sinne von Frieden und eigener Sicherheit, genauso wie die Frage nach einem sicheren Arbeitsplatz. Durch Krankheiten, Pandemie, Klimawandel sind wir gefühlt umgeben von Krisen.
Während Erwachsene in dieser Zeit auf eigene Bewältigungsstrategien von vorherigen Krisensituationen zurückgreifen können, fehlen den Jugendlichen diese Strategien. Sie befinden sich in ihrem Selbstfindungsprozess: Wer bin ich, was will ich, wo ist mein Platz in der Welt? Ängste aufgrund Geldnot oder Kriegen engen die Entscheidungsfreiheit ein. Wie sollen sie dabei frei bestimmen, wie ihr Leben aussehen soll? Die Zahl an Jugendlichen, die Depression, Suizidgedanken oder Zukunftsangst haben, nimmt leider zu. Auch der Steigerungs- und Leistungsdruck durch dieses Schneller, Besser, Schöner, Schlauer verlangt ihnen enorm viel ab: „Ich muss gut in der Schule sein, damit ich eine gute Arbeit finde, und genug Geld verdienen kann, um dann später ein Haus bauen und meine Familie ernähren zu können.“ Diese Themen gab es schon in jeder Generation, gerade kommt aber alles zusammen und das macht es momentan für junge Leute schwieriger.

Wie begegnest du den Zukunftsängsten der Jugendlichen im Gespräch?
Zunächst sollten die Jugendlichen merken, dass ich da bin, mir Zeit für sie nehme und sie auch ernst nehme, in dem, was sie sagen. Jede Art von Problem erfordert zunächst Empathie und Respekt. Das vermittele ich, indem ich in meiner Tätigkeit zeige „Du, mit dem, was du mir gerade erzählst, bist wichtig, ich bin für dich da und wir schauen da gemeinsam darauf.“ Zudem kann ich in meine Arbeit meinen eigenen Glauben und meine Lebenserfahrung als eine mögliche Bewältigungsstrategie einfließen lassen. Gottes Zusage, dass ich in meiner Person richtig bin und dass die Welt gut ist, auch wenn es oft gar nicht so scheint, hat mir in meinem persönlichen Leben sehr geholfen. Davon erzähle ich und lebe es aktiv vor, sodass die Jugendlichen es auf die Vereinbarkeit mit ihrem Leben prüfen können.

Was motiviert dich, trotz Herausforderungen in der Kirche zu bleiben?
Es kommt häufig vor, dass man in Bars ist und sich im Gespräch mit anderen rausstellt, dass man Theologie studiert oder für die Kirche arbeitet. Da wird man direkt mit Fragen konfrontiert, weil man in dem Moment „die Kirche“ für die- oder denjenigen ist. Das ist zum einen anstrengend, zeigt aber zum anderen, dass Kirche den Menschen nicht egal ist, auch wenn sie sich darüber aufregen, irgendetwas beschäftigt sie. Und ich verstehe in der heutigen Zeit jede Person, die für sich sagt, dass sie aus der Institution Kirche austritt. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie nicht gläubig ist. Denn in den Gesprächen merkt man oft, dass wir uns die gleichen Fragen stellen und die gleichen Situationen und Herausforderungen als kritisch betrachten.
Ich für mich habe den Weg eingeschlagen, daran zu arbeiten, weil mir die Kirche, vor allem das Potential von Kirche, und das Evangelium am Herzen liegen. Aus der Institution heraus und mit meinem Beruf möchte ich daran arbeiten, dass sich in der Kirche etwas verändert. Mir ist klar, dass ich nicht alles ändern kann, aber die Veränderung fängt bereits in solchen Gesprächen an. Wenn sich Menschen im Gespräch mit Menschen identifizieren können, die für die Kirche arbeiten, ist das bereits ein Anfang. In solchen Gesprächen beginne ich, das Bild von Kirche zu verändern und als Seelsorgerin in der Welt zu wirken. Es ist Teil meiner Berufung, dass ich mit dem, was ich mitbringe und mir von Gott gegeben ist, die Welt mitgestalte. Das trägt mich und gibt mir Hoffnung, weshalb es für mich der richtige Weg ist, als Jugendseelsorgerin zu arbeiten.

Was sind deine Wünsche für deine Stelle, die sich noch verändern und entwickeln könnten?
Für meine konkrete Arbeit würde ich mir von allen Menschen wünschen, dass sie erkennen, dass die Jugend unsere Zukunft ist, und sich daraufhin für die Jugend engagieren. Wir werden schon gut unterstützt, aber ich würde es gerne auch in der Haltung der Menschen merken wollen. Es geht nicht darum, dass die Jugend einen Dienst in der Kirche übernimmt und am Seniorenabend einen Kaffee ausschenkt. Sondern es sollte darum gehen, dass uns bei der Arbeit die Jugend am Herzen liegt und wir als Kirche einen Teil dazu beitragen, dass sie ein gelingendes Leben führen können. Das kann durch politische Lobbyarbeit, durch konkrete Angebote oder durch finanzielle Unterstützung passieren.
Das Allerwichtigste ist, dass man sich bei allem, was man tut, selbst überprüft, ob man nach dem Evangelium handelt. „Ermögliche ich durch mein Handeln Leben und wird Gott durch die eigene Handlung hier in der Welt sichtbar?“ Das passiert nicht dadurch, dass ich Machtstrukturen befördere, dass ich alle Frauen und nicht männliche Menschen vom Weiheamt ausschließe, dass ich sage, es gäbe nur zwei Geschlechter und mich nicht für die Unterdrückten einsetze. Bei allem zu prüfen, ob ich nach dem Evangelium handle und ob durch mein Handeln Gott in der Welt aufscheint, würde schon viel helfen.

hoch hinaus – ein Wochenende für dich, deine Stärken, deine Talente und deine Berufung
Das lange Wochenende um den 01. Mai ist für dich und deine Berufung in der Welt da. Sei gespannt auf ein abwechslungsreiches Programm, das dich zu dir und hoch hinaus führen wird. Das Wochenende findet mit Übernachtung statt.
DATUM: 29.04.-01.05.23
ORT: YouCh Stuttgart (Landhaustr. 67, 70190 Stuttgart)
VERANSTALTER: YouCh Stuttgart und Diözesanstelle Berufe der Kirche
ANMELDUNG: jugendreferat-s [at] bdkj-bja.drs.de
WEITERE INFORMATIONEN (Teilnahmebeitrag, Anfahrt, …): tmaillet [at] bdkj-bja.drs.de oder https://stuttgart.bdkj.info

 

TEXT: JULIA GAUL (23), ISABELLA REISCH (23)