Ohne kirchliche Jugendarbeit wäre er nicht, wo er heute steht – davon ist Weihbischof Thomas Maria Renz überzeugt. Im Interview spricht er darüber, wie Jugendliche durch die Kirche zu Selbst- und Gottesvertrauen finden können und was die Gemeinde vor Ort dafür tun kann.

 

Herr Weihbischof, in einem Zeitungsartikel stand, Ihre Aufgabe als Verantwortlicher für kirchliche Jugendarbeit ist es, „junge Menschen an die traditionellen Strukturen der Kirche heranzuführen“. Würden Sie das auch so formulieren?

Von wann ist denn diese Aussage?

2003, also schon ein paar Jahre her.

Ja, das dachte ich mir. Das klingt auch etwas antiquiert. Ich würde das nicht so formulieren. Für mich geht es bei kirchlicher Jugendarbeit nicht darum, junge Menschen zu rekrutieren – als Ministranten oder wofür auch immer –, sondern ihnen zu dienen, ihnen zu helfen, sich selbst zu verwirklichen, und zwar in einer Weise, die Maß nimmt an Jesus Christus, wie es die Würzburger Synode formuliert hat. Und bei der Frage nach der Selbstverwirklichung wird dann auch das Thema „Berufung“ wichtig, also: Zu was fühle ich mich als junger Mensch berufen? Hier geht es auch darum, dass die Kirche jungen Menschen dabei hilft, ihren eigenen Horizont zu erweitern und über den eigenen Tellerrand zu blicken. Dazu verhelfen jungen Menschen zum Beispiel die verschiedenen Freiwilligendienste, für die sich jedes Jahr über 1200 junge Menschen in unserer Diözese anmelden.

Was kann die Kirche dabei besonders vermitteln?

Zum Beispiel eine spirituelle Lebenskompetenz für junge Menschen.

Was heißt das konkret?

Spirituelle Lebenskompetenz heißt, dass junge Menschen aus einer Alltagsspiritualität und persönlichen Gottesbeziehung leben, mit der sie ihr Leben mit allen Höhen und Tiefen gut bewältigen können. Gerade im Blick auf existenzielle Erfahrungen wie bei der Frage nach dem Leid in der Welt und wie man damit umgehen kann. Aber auch zur Selbstfindung ist eine spirituelle Lebenskom- petenz wichtig. Laut einer aktuellen religionspädagogischen Studie sind Jugendliche heute mehr denn je auf der Glaubenssuche.

Ja, diese Studie kennen wir. Darin steht auch, dass Jugendliche den institutionellen Charakter von Religion und Kirche eher ablehnen. Wie kann man damit umgehen?

Ja, das ist eine gute Frage. Individualität ist heute insgesamt ein signifikantes Merkmal junger Menschen. Sie wollen selber ihr Leben und auch ihren Glauben erkunden und bestimmen, statt einfach nur Vorgegebenes zu übernehmen. Das muss die Kirche zunächst mal akzeptieren und jungen Menschen einen Raum geben, damit sie herausfinden können, was sie anspricht. Deswegen finde ich es auch gut, dass es jetzt vermehrt jugendspirituelle Zentren in der Diözese gibt. Damit wollen wir ja gerade ein Experimentierfeld ermöglichen, in dem Jugendliche eben nicht auf vorgegebene traditionelle Strukturen verpflichtet werden, so nach dem Motto: Vogel friss oder stirb. Sie sollen ihren eigenen Weg finden dürfen, natürlich nach Möglichkeit im Raum der Kirche. Dafür brauchen wir auch liturgische Experimentierräume. Dabei finde ich es besonders wichtig, dass junge Menschen selbst mitentwickeln können – aber ohne das Gefühl zu haben, wir werden für irgendwas rekrutiert, sondern: Wir sind von Gott geliebt um unserer selbst willen. Wenn es der Kirche gelingt, das deutlich zu machen, hat sie auch wieder eine Chance bei jungen Menschen.

Wie war das denn in Ihrer Jugend?

Ich komme aus einer katholischen Familie, die immer schon im Gemeindeleben integriert war, wurde selbstverständlich Ministrant und habe das zehn Jahre bis zum Abitur gemacht: inklusive der üblichen Freizeiten, Zeltlager und Gemeindefeste, außerdem Bibelgespräche in einer Jugendgruppe. Wenn ich so zurückdenke, war genau das, was ich eben gesagt habe, auch für mich wichtig – das Einbezogen- und Ernstgenommenwerden. Ein Beispiel: Als Jugendlicher war ich in meiner Heimatstadt beim Neubau einer Kirche beteiligt, in einem Stadtviertel, in dem es zuvor noch keine Gemeinde gab. Das war die Aufbruchszeit nach dem Konzil, also Mitte der 70er-Jahre. Wir durften damals die neue Betonkirche mit aufbauen – einerseits auf der Baustelle, aber auch im Gemeindeleben. Wir gründeten eine Gottesdienstband, die eher laut als gut war (lacht). Die fehlende musikalische Qualität haben wir durch Lautstärke kompensiert. Interessant war aber, dass die Gemeindemitglieder sich nicht darüber beschwert haben, sondern uns einen Raum zur Selbstentfaltung und zum Experimentieren gegeben haben. Wichtig war auch, dass unser Pfarrer sehr viel Verständnis für uns hatte.

Wie wichtig war diese Zeit für Ihre eigene Berufung?

Sehr wichtig. Wenn ich die Erfahrungen im Gemeindekontext nicht gemacht hätte, wäre ich vermutlich heute nicht, was ich bin. Meine Berufung zum Priester geht eigentlich schon zurück bis zu meiner Erstkommunion: Da war der Gedanke zum ersten Mal bei mir präsent, ohne dass was Spektakuläres passiert wäre. Aber mit acht oder neun Jahren ist ein solcher Gedanke ja noch nicht wirklich tragfähig. Die Erfahrungen der Jugendarbeit in der Zeit bis zum Theologiestudium waren für mich sehr wichtig. Von daher weiß ich, dass Jugendarbeit jungen Menschen Stabilität und Sicherheit geben kann.

Wie meinen Sie das?

Ich mache es an einem Beispiel deutlich. Wenn ich das Sakrament der Firmung spende, gebe ich den Jugendlichen immer ein paar ermutigende Worte mit auf den Weg. Manchmal sage ich ihnen zum Beispiel: Auf einem Bein kann man nicht gut stehen; wenn es stürmisch wird im Leben, kippt man um. Der Mensch braucht zwei Standbeine: Selbstvertrauen und Gottvertrauen. Das ist mir deshalb so wichtig, weil ich das selbst erfahren durfte: das Selbstvertrauen, das man aufbaut, wenn man einfach mal Dinge ausprobieren darf. Das Gottvertrauen muss dazu parallel wachsen. Unser Bischof sagt gerne: Die Jugend ist nicht nur die Zukunft der Kirche, sie ist auch ihre Gegenwart. Deshalb sollten wir die jungen Menschen im Hier und Heute stark einbeziehen und sie in der Kirche mehr mitentscheiden lassen. Das finde ich wichtig.

Was hat sich im Vergleich zu früher verändert?

Ich denke, heute sind die Großevents sehr wichtig, das gab es zu meiner Zeit noch nicht in dem Maße. Wenn die Klassenkameraden am Sonntagmorgen lieber Fußball spielen und sich immer weniger in der Kirche engagieren, ist es für die Minis sehr bestärkend, auf Veranstaltungen wie dem Weltjugendtag oder der 72-Stunden-Aktion des BDKJ mitzumachen, um zu sehen: Ich bin nicht der letzte Mohikaner in der Kirche.

Welche Rolle spielt Spiritualität in der Jugendarbeit?

Ich meine, dass Spiritualität immer irgendwie eine Rolle spielt. Natürlich sind Gottesdienste zentral und wichtig. Aber Spiritualität ist nicht zwingend liturgisch zu erkennen. Sie kann auch in anderer Weise angeboten werden: Zeiten der Stille zu haben, eingängige, ansprechende Lieder zu singen oder einfach nur mal den Sonnenuntergang beim Zeltlager zu erleben und über die Natur zu staunen. Spiritualität hat ja viele Facetten.

Was würden Sie sagen ist wichtig für die Jugendarbeit der Gegenwart und Zukunft?

Drei Punkte. Erstens braucht es für junge Menschen „burning people“ – begeisterte Leute, die kontaktfähig sind und auf junge Menschen zugehen können. Sie sollten dem Jugendlichen signalisieren: du bist uns wichtig. Und wir schätzen dich. Das betrifft natürlich besonders die Hauptberuflichen, aber auch generell alle Gemeindemitglieder. Und dann brauchen wir zweitens Räume, in denen Jugendliche ankommen können. Auch im übertragenen Sinne. Wir müssen zum Beispiel versuchen, die Medien im Jugendbereich noch viel stärker als bisher zu nutzen. Aber auch lokale Räume – Jugendräume, die zugänglich sind, dass man den Jugendlichen sagt: Das ist euer Raum, den dürft ihr jetzt gestalten und wir vertrauen euch. Das ist nicht immer selbstverständlich.

Und das Dritte?

Das Dritte ist ein Wort von Papst Franziskus, das er noch vor seiner Papstwahl gesagt hat. Er ist in einem Interview gefragt worden: Was braucht die Kirche heute am meisten? Und seine Antwort war: Barmherzigkeit und noch einmal Barmherzigkeit und apostolischen Mut. Und dann definiert er, was er mit apostolischem Mut meint, nämlich: die Schönheit des Evangeliums, des Lebens mit Jesus bezeugen und zulassen, dass der Heilige Geist den Rest macht. Das ist für mich in der Verkündigung unsere zentrale Aufgabe: dem Heiligen Geist Raum geben, damit er durch uns wirken kann. Für die Jugendarbeit heißt das: Ich will den anderen nicht in erster Linie für irgendetwas gewinnen, sondern ihm Zeugnis geben und die Möglichkeit eröffnen, dass der andere Jesus selbst kennenlernt. Aber das liegt dann in seiner eigenen freien Entscheidung.

 

       

Das Gesräch führten Alina Oehler (27) und Elisabeth Böckler (20)