Die christliche Botschaft ist ein Sinnangebot für viele Menschen, sagt Domkapitular Dr. Klaus Krämer. Im Interview spricht er über seinen Lebensweg, berichtet von der Realität der Weltkirche und gibt einen Ausblick auf eines der ersten Großereignisse nach der Pandemie.

Herr Krämer, was bedeutet Berufung für Sie?
Wir hatten 2007 ein Jahr der Berufung in der Diözese und da haben wir das Motto gewählt: „Entdecke den roten Faden deines Lebens“ und als Untertitel „Gottes Ruf auf der Spur.“ Das bringt es für mich eigentlich sehr gut zum Ausdruck: dass es eben doch einen roten Faden gibt, den Gott in unser Leben gelegt hat. Und dass es darum geht, diesen Faden zu entdecken und zu verfolgen, um dann auch zum Ziel seines individuellen Lebens zu finden.

Warum ist ein Beruf in der Kirche auch weiterhin attraktiv?
Ich denke, dass die Botschaft, die wir vertreten, nichts an Aktualität verloren hat. Natürlich stehen wir vor der großen Aufgabe, sie wieder neu in den Denk- und Erfahrungshorizont unserer Zeit zu übersetzen. Damit tun wir uns nicht immer so leicht in der Kirche. Nichtsdestotrotz ist diese Botschaft ein Sinnangebot für viele Menschen. Das wirklich zu vermitteln, ist eine in höchster Weise erfüllende und fordernde Aufgabe. Das wird auch immer Zukunft haben.

Was würden Sie Menschen mit auf den Weg geben, die sich für einen Beruf in der Kirche interessieren, die eine Berufung bei sich spüren?
Ich würde ihnen immer empfehlen, Orte aufzusuchen, wo kirchliches Leben wirklich stattfindet. Und dabei nicht nur von einer Realität auszugehen, die man selber schon kennt, sondern noch mal ganz andere Realitäten in den Blick zu nehmen. Ein Mitleben in einer geistlichen Gemeinschaft etwa oder auch ein Aufenthalt in der Weltkirche können da sehr wertvoll sein, um die Vielfalt des Glaubens und des Kircheseins zu erleben. Das halte ich für eine gute Grundlage, um nicht nur auf einen Strang fixiert zu sein, sondern zu sehen, dass Kirche eine sehr vielfältige und komplexe Realität ist, die immer wieder neue Perspektiven und neue Möglichkeiten eröffnet.

Sie sind 1993 in Neresheim zum Priester geweiht worden. Wenn Sie auf diesen Berufungsweg zurückblicken: Gab es da jemanden oder etwas, das besonders prägend für Sie war?
Es waren viele Menschen, die mich begleitet haben auf dem Weg. Die Begegnung mit meinem ersten Pfarrer war sicher sehr prägend und ist auch eine Beziehung, die mich bis heute begleitet. Das war ein großes Vorbild für mich und hat mir gezeigt, wie man auf ganz menschliche Weise Priester sein und auch ansprechbar sein kann. Das hat mich von Anfang an sehr beeindruckt.

Wenn Sie Ihre eigenen Erfahrungen aus Ihrer Studienzeit und Ausbildungszeit mit der heutigen Situation vergleichen, welche Unterschiede erkennen Sie da?
Was hat sich aus Ihrer Sicht verbessert, was vielleicht verschlechtert?
Ich denke, dass die Qualität vor allem der praktischen Berufseinführung doch enorme Fortschritte gemacht hat in den letzten Jahren. Dass man beispielsweise auch humanwissenschaftliche Sichtweisen oder didaktische und methodische Elemente mit hineingenommen hat. Da hat sich sehr viel getan und da denke ich, bieten wir eine qualitativ hochwertige Ausbildung für unsere pastoralen Berufe an. Ein Unterschied ist sicher, dass es natürlich damals eine Zeit war, in der noch mehr Studierende an den Fakultäten waren. Das war manchmal anstrengend, aber insgesamt war es einfach schön, viele verschiedene Menschen zu treffen, mit denen man in Kontakt gekommen ist.

Wir haben bei missio viele Projektpartner – Ordensleute oder auch sehr engagierte Laien –, die großartige Arbeit leisten, weil sie ihren Glauben konkret leben und aus dem Glauben heraus ganz unterschiedliche Antworten für ihren jeweiligen gesellschaftlichen Kontext geben. Das ist einfach sehr überzeugend und glaubwürdig und das sind Beispiele, die anstecken.

In Ihrer Zeit als Präsident des Missionswerkes missio in Aachen sind Sie viel in der Weltkirche herumgekommen. Was bedeutet in diesem Zusammenhang Mission für Sie?
Mission heißt, dass wir unsere christliche Verantwortung und unser christliches Zeugnis im jeweiligen Kontext wahrnehmen. Das habe ich immer wieder gespürt. Wir haben bei missio viele Projektpartner – Ordensleute oder auch sehr engagierte Laien –, die großartige Arbeit leisten, weil sie ihren Glauben konkret leben und aus dem Glauben heraus ganz unterschiedliche Antworten für ihren jeweiligen gesellschaftlichen Kontext geben. Das ist einfach sehr überzeugend und glaubwürdig und das sind Beispiele, die anstecken. Ich habe immer wieder gemerkt, dass diese Persönlichkeiten in ihrer Authentizität die Menschen begeistern und ihnen zeigen, welches Potenzial im Glauben steckt und wie man so auf ganz unterschiedliche Herausforderungen reagieren kann. Das ist ein großer Reichtum.

Papst Franziskus spricht in diesem Zusammenhang oft von einer armen Kirche für die Armen. Was bedeutet dieses Bild für Sie?
Papst Franziskus bringt sehr eindrucksvoll zum Ausdruck, dass wir die Perspektive der anderen einnehmen müssen. Das bedeutet, die Welt mit den Augen der Armen zu sehen und sich auf ihre Lebensrealität wirklich einzulassen und sie ein Stück weit auch zu teilen bereit sein. Damit geht einher, dass wir nicht in der herablassenden Geste der Helfenden daherkommen, sondern dass wir die Menschen wirklich ganz ernst nehmen, weil sie uns etwas vom innersten Kern unseres Glaubens mitzuteilen haben. Dass diese Menschen, die oft unter ganz schwierigen Bedingungen leben müssen, eine unglaubliche Kraft ausstrahlen, das ist eine Erfahrung, die ich auch selber immer wieder gemacht habe auf den Reisen. Da denke ich, habe ich etwas gespürt von der evangelisierenden Wirkung der Begegnung mit den Armen, die in schwierigen Lebenskontexten ihr Leben bestehen, weil sie von ihrem Glauben leben.

Ein Teil Ihrer Zuständigkeit, seit Sie wieder zurück in der Diözese sind, ist der 102. Katholikentag 2022 in Stuttgart. Welche Akzente setzt die Diözese als Gastgeberin bei diesem Ereignis?
Eine Grundidee dieses Katholikentages war, dass das weltkirchliche Engagement der Diözese im Mittelpunkt steht. Das hat mich besonders gefreut, weil das schon ein besonderes Merkmal unserer Diözese ist und ich mit dieser Arbeit in vielfacher Weise eng verbunden bin. Daher war das Motto des Katholikentages „leben teilen“ dann auch schnell gefunden. Er soll auch den Blick weiten auf die Vielfalt der Realität der Kirche: dass sie eben nicht nur durch Probleme, Krisen, Konflikte und Skandale, sondern durch eine große Vielfalt geprägt ist, in der Glaube gelebt wird. Unsere Hoffnung ist, dass nach der Pandemie der Katholikentag eines der ersten großen Ereignisse sein wird, bei dem man sich auch wieder persönlich begegnen kann. Ich glaube, dass dieses große Fest des Glaubens mit einer starken weltkirchlichen Akzentsetzung eine tolle Sache werden kann.

Die Kirche in zwanzig Jahren wird ein sehr vielgestaltige Kirche sein, die sehr nah am Leben der Menschen sein wird und deswegen auch Menschen erreichen kann.

Zu guter Letzt: Wie sieht Kirche Ihrer Meinung nach in zwanzig Jahren aus?
Ich denke, dass sie nicht mehr so uniform aussehen wird wie im Moment, dass es da eine große Vielfalt geben wird und auch viele unterschiedliche Akzentsetzungen. Und dass die Kirche, auch wenn sie wahrscheinlich zahlenmäßig kleiner sein wird, als sie das heute ist, deswegen nicht weniger lebendig sein wird, sondern dass wir auch zu neuen Wegen und Formen finden, die auf neue Weise ausstrahlen und Menschen ansprechen werden. Kurz gesagt: Es wird sicher eine sehr vielgestaltige Kirche sein, die sehr nah am Leben der Menschen sein wird und deswegen auch Menschen erreichen kann.

ZUR PERSON:
Prälat Dr. Klaus Krämer (57) ist Domkapitular und Leiter der Hauptabteilung „Kirchliches Bauen“ im Bischöflichen Ordinariat sowie Beauftragter für den Katholikentag 2022. Nach dem Studium der Theologie und Rechtswissenschaften und der Priesterweihe 1993 war Krämer als Sekretär von Bischof Walter Kasper tätig, 2000 folgte die Pro motion, 2010 die Habilitation. Bevor er 2008 als Präsident des Hilfswerks „missio“ nach Aachen wechselte, war der gebürtige Stuttgarter in der Diözese unter anderem für weltkirchliche Auf-gaben und die Ausbildung der pastoralen Berufe zuständig.

 

TEXT: FELIX MAIER (22)