In Amerika werden Football-Trainer Coaches genannt, manch großes Unternehmen hat einen Coach fürs Management, aber einen Coach für seine Berufung? Ja, das gibt es. Bernhard Wuchenauer war Berufungscoach in der Diözese und in den vergangenen Jahren bei der Diözesanstelle Berufe der Kirche tätig. Was so ein Coach für die Berufung macht und warum die Berufung nicht immer der pastorale Dienst sein muss, erzählt er im Interview.

Herr Wuchenauer, was verbirgt sich hinter dem Begriff des Berufungscoachings?
Berufungscoaching ist eine Form, Menschen zu begleiten, damit sie ihre eigene Berufung finden können. Es fußt auf dem systemischen Coaching. Grundlegend ist das Verständnis, dass jeder Mensch eine Berufung hat. Für mich ist sie die Einladung Gottes an jeden Menschen, ein Leben in Fülle zu führen. Berufungscoaching ist in jedem Lebensalter möglich. Ein gewisser Reifegrad ist die einzige Voraussetzung. Ich hatte schon junge Men- schen, die noch gar nicht so genau wussten, wo es für sie im Leben hingehen soll, oder Personen, die sich im Theologie-Studium oder der pastoral-praktischen Einführungsphase befanden und sich die Frage stellten, ob es der richtige Weg ist. Darüber hinaus hatte ich auch schon Anfragen von Menschen, die mit fünfundvierzig Jahren mitten im Berufsleben standen, und ich kenne Personen, die Berufungscoaching für Menschen anbieten, die sich am Übergang zum Ruhestand befinden.
Sie sind Pastoralreferent, arbeiten bei Berufe der Kirche, sind also bei der Kirche angestellt: Ist es dann möglich, an die Frage „Geht es für mich in den Pastoraldienst?“ werbefrei ranzugehen?
Da braucht es natürlich eine Rollenklarheit. Ich bin ganz klar Referent bei Berufe der Kirche. Andererseits: Sobald ich als Berufungscoach angefragt werde, ist es mein Ziel, den Menschen zu helfen, ihre Berufung zu finden. Als Berufungscoach freue ich mich über jeden, der die eigene Berufung findet –egal wo sie jeweils liegt. Als Referent bei Berufe der Kirche freue ich mich in zweiter Linie, wenn jemand merkt, dass es der pastorale Dienst ist.
Wenn ich gefragt werde, sage ich offen, dass der pastorale Beruf für mich – trotz mancher kirchlicher Stürme – ein absolutes Geschenk darstellt. Ich kann das, was mich im Innersten mit meinem Glauben erfüllt, zum Beruf machen.
Wie genau läuft das Berufungscoaching ab?
Normalerweise besteht das Berufungscoaching aus sieben Sitzungen. Ziel ist es, in der Schlusssitzung eine Visionsgeschichte zu haben und zu schauen, welche Schritte es braucht, um diese Zukunft zu realisieren. Für die Sitzungen davor gibt es einen idealtypischen Verlauf. Da gibt es zum Beispiel eine Sitzung, die den Fokus auf Stärken legt. Neben der Eigen- und der Fremdsicht schauen wir aber auch in die Vergangenheit: Welche Dinge habe ich in meinem Leben schon gemeistert? Da gehören riesige Leistungen dazu wie das Abitur, aber auch ganz kleine Dinge, wie sich zum ersten Mal getraut zu haben, bei Oma zu übernachten. Das ist aus heutiger Sicht natürlich lächerlich – aber für die damalige Zeit war es eine große Herausforderung. Es gilt, das anzuerkennen und festzustellen, dass man diesen Mut, den man damals schon aufgebracht hat, wieder aufbringen kann. Grundlegend gilt: Berufungscoaching versteht den Menschen ganzheitlich. Es gibt nicht nur kognitive Herangehensweisen, sondern auch Elemente, bei denen das Bauchgefühl in den Vordergrund rückt.
Die verschiedenen Sitzungen mit ihren spezifischen Bausteinen führen dazu, dass sich am Ende so etwas wie ein Mosaik ergibt, das zeigt, was für mich Leben in Fülle bedeuten kann.

Wie gehen Sie damit um, wenn Sie selbst eine Idee für den Weg des anderen haben?
Ich denke, die Professionalität schreibt vor, dass ich es für mich behalte. Aber eigentlich gibt es keine Momente, in denen ich denke oder gar sage: „Das ist deins“. Von außen würde ich mir das gar nicht anmaßen wollen. Das heißt nicht, dass ich ein „weißes Papier“ sein muss. Der Gradmesser ist für mich: Was hilft der Person in ihrer Suche nach der eigenen Berufung weiter? Deswegen unterbreite ich manchmal Formulierungs-Angebote oder melde zurück, welche Fragen sich mir stellen. Ich gebe zu: Manchmal ist es schwierig, auszuhalten, dass Suchen seine Zeit brauchen muss. Das ist dann ein bisschen wie beim Topfschlagen: Der andere befindet sich kurz vor dem Ziel und liegt dann doch nochmal daneben. Aber es geht ja darum, dass die Person selbst ihre eigene Berufung entdecken kann. Und im Gegensatz zum Topfschlagen kann ich als Außenstehender ja gar nicht die Berufung, also den Topf, so klar sehen.
Werden Sie auch privat angesprochen oder läuft Berufungscoaching nur über berufliche Kontakte?
Wenn ich im Freundeskreis davon erzählt habe, finden es zunächst einmal viele spannend. Aber es gibt wie bei allen Supervisions- oder Coachingsanlässen eine Grenze, wenn es zu nah wird. Coaching geht auch an tiefe Quellen, die ich vielleicht sonst nicht einfach so erzählen würde. Ich glaube, das kann im Privaten dazu führen, dass man sich gehemmt fühlt. Grundsätzlich gilt natürlich für das Berufungscoaching, dass es der Verschwiegenheit unterliegt.
Was gehörte zu Ihren Aufgaben im Berufungscoaching?
Neben den Sitzungen selbst bestand meine Arbeit darin, die Sitzungen nachzubereiten und vorauszuplanen. Zu überlegen, ob in der kommenden Sitzung der nächste Schritt dran ist oder ob davor noch etwas anderes wichtig ist. Diese Überlegungen mache ich dann am Anfang der nächsten Sitzung transparent. Davor frage ich noch, ob die Person selbst ein Anliegen mitbringt. Dann legen wir fest, worauf wir uns in der heutigen Sitzung konzentrieren wollen. Berufungscoaching läuft also nie gleich ab. Jeder Prozess ist lebendig, weil jeder Mensch lebendig ist. Diese Abwechslung ist ein total motivierender Teil meiner Arbeit.

Wie wird man Coach, wie kommt man da hin? Und wie war es bei Ihnen?
Die Ausbildung zum Berufungscoaching, die ich absolviert habe, heißt Berufungscoaching WaVe. WaVe steht für Wachstum und Veränderung. Vor sieben Jahren hatte ich zum ersten Mal durch eine Kollegin in der Hochschulseelsorge davon gehört, die es für ihre Arbeit nutzte. Als ich zur Diözesanstelle Berufe der Kirche kam, ist das Thema neu im Team aufgekommen. Eine Kollegin und ich fanden es für unsere Arbeit wichtig und haben dann zusammen die Ausbildung absolviert.
Die Ausbildung besteht aus einer Grundausbildung, in der man das Unmittelbare für ein Berufungscoaching im Einzelsetting lernt. In der Aufbauausbildung kommen weitere Instrumente dazu und man lernt, wie Coaching im Gruppensetting stattfinden kann. Zur Zertifizierung gehören dann eine Abschlussarbeit und eine Abschlussprüfung, in der man die Abschlussarbeit vorstellt. Die Ausbildung würde ich jederzeit wieder anpacken! Und ich freue mich, dass einige Kolleg:innen im pastoralen Dienst sich jetzt als Berufungscoaches ausbilden lassen. Denn damit haben wir ein kirchliches Angebot, das in der Gesellschaft Resonanz erfährt.

Was macht denn die Arbeit für Sie so wertvoll?
Was gibt es Größeres, als mitzuerleben, dass Menschen ihre Berufung finden?! Das entdecken, was sie gut können, was ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte sind?! Das, was in ihnen als Leben in Fülle angelegt ist?! Berufungscoaching bereitet mir einfach eine riesige Freude.

Was möchten Sie gerne den Lesern mit auf den Weg geben – in Hinblick auf Berufung und den eigenen Lebensweg?
Ich will ermutigen, nicht nur als junger Mensch an der Suche nach der eigenen Berufung dranzubleiben. Berufung ist für mich dynamisch. Einerseits kann die Suche danach mich in meiner derzeitigen Lebenssituation bestätigen. Aber es kann auch sein, dass die aktuelle Situation nicht mehr meiner Berufung entspricht – warum auch immer. Und da ist es wichtig, nicht beim Frust zu bleiben, sondern sich mutig auf die Situation einzulassen und bereit zu sein zu schauen, was an Neuem da ist. Das heißt nicht, dass das, was davor war, nicht der Berufung gemäß war. Es war ein Ausdruck von Leben in Fülle in dieser Lebensphase. Und jetzt kann vielleicht auch etwas anderes dran sein, bei dem meine Stärken aufgehoben, meine Bedürfnisse erfüllt und meine Sehnsüchte eingebracht sind.

Zur Person
Bernhard Wuchenauer ist Pastoralreferent und war zuletzt als Mitarbeiter der Diözesanstelle Berufe der Kirche in Tübingen tätig. Seit September diesen Jahres ist er Dekanatsreferent im Dekanat Esslingen-Nürtingen.

TEXT: CORINNA MERLE (21)