Wie kann es heute gelingen, den Glauben weiterzugeben, ohne übergriffig zu sein? Mit eigenem Vorleben, weitem Blick und offenem Herzen.

Ganz oft begegnet mir die Frage, wie wir unseren Glauben heute noch weitergeben können. Alles scheint doch vergeblich, da Menschen sich in Scharen von der Kirche abwenden. Da denke ich mir: Wie können wir Menschen an den Glauben heranführen oder anders gefragt: Wie können wir, in einem guten Sinne, zum Glauben erziehen? Dabei geht es nicht nur um Kindererziehung, denn wenn wir erziehen, dann bilden wir Geist und Charakter, fördern die Entwicklung und leiten zu einem bestimmten Verhalten an. All das ist lebenslanges Tun. Nicht nur Eltern und Lehrer erziehen, auch Kollegen und Vorgesetzte, Freunde und Bekannte, Medien und Gesellschaft können im positiven Sinne erziehen.

Letztlich erziehen wir immer dann, wenn wir miteinander in Interaktion treten, den anderen mit einem wachen Blick wahrnehmen und in seiner positiven Entwicklung unterstützen. Ich erziehe ein Stück weit auch, indem ich meinen Mitmenschen helfe, noch mehr Mensch zu sein, noch mehr sie selbst zu sein. Doch wie kann das gelingen?

Zunächst einmal muss ich den anderen annehmen wollen, so wie er ist. Ihn nicht so zu machen, wie ich meine, dass der Andere sein muss. Dazu gehört, dass ich ein wirkliches Interesse, eine Liebe für mein Gegenüber habe. Letztlich ist es mein Wunsch, dass durch mein Tun die Seele des Anderen zum Strahlen gebracht wird, dass er so sein darf, wie er in seinem tiefsten Inneren sein will.

„Ich muss, das was ich bei anderen fördern will, zuerst selbst leben“

Ich glaube, dass ich dafür zuerst einmal bei mir selber anfangen muss, indem ich das, was ich bei anderen fördern will, selbst lebe. Und dadurch kann ich zum Vorbild für andere werden.

Aber es geht nicht um Perfektionismus. Ich darf und muss sogar zu meinen Fehlern und Schwächen stehen, denn nur das ist authentisch. Gerade in einer Zeit, die von Perfektionismus lebt und man scheinbar nur noch die glatte und ebenmäßige Oberfläche zeigen darf.

Wenn mein Vorleben gelingt, was bedeutet, dass es immer mehr ein Geschehen-Lassen als ein aktives Handeln ist, dann darf ich nicht erwarten, dass der Andere meine Art und Weise eins zu eins übernimmt. Nein, vielmehr wird mein Gegenüber all das, was er oder sie bei mir abgeschaut hat, wiederum mit seinen eigenen Erfahrungen und Gedanken anreichern und verbinden. Es geht ja nicht darum, dass der Andere eine Kopie von mir ist, sondern selbst authentisch, ein Original bleibt. Dazu braucht es Geduld und Zeit.

„Zum Glauben gehört für mich eine verständliche Sprache“

Zum Glauben gehört für mich eine verständliche religiöse Sprache. Für viele Menschen ist die Sprache des Glaubens eine Fremdsprache geworden. „Religiöse Vokabeln sind für sie deshalb wie Chinesisch. Sie sind ihnen unverständlich und werden nicht mehr als Hilfe zur Lebensdeutung und Lebensbewältigung erfahren“. ¹ Wie soll man dann zum Beispiel einem Menschen, für den Gott keine Rolle spielt, erklären, was Beten heißt? Wir werden nicht darum herumkommen, das „Unübersetzbare [zu] umkreisen, sich ihm annähern, es zusammen[zu]fassen, erahnen lassen [zu] müssen“².Letztlich ist es, so hat es die französische Mystikerin Madeleine Delbrêl einmal formuliert, die Sprache Jesu, die das Herz eines Menschen am tiefsten erreichen kann. Von Jesus können wir „lernen, mit dem eigenen Herzen auf die Herzen der anderen und auf ihr Hoffen zu lauschen“³. Wenn Jesus von Gott sprach, war das meist mit einer Geste der Zuwendung verbunden: Er hat die Menschen geheilt, er hat sie aufgerichtet, er gab ihnen Ansehen.

„Die Vielfalt des Glaubens wahrnehmen und fördern“

Ich bin davon überzeugt, all das, was wir vorleben, ist weder vergeblich noch überflüssig. In unserem Tun prägen wir und in manchem werden wir nachgeahmt werden. Vielleicht merke ich es gar nicht sofort. Auch mancher Samen, der gelegt wird, braucht lange Zeit zum Keimen und Wachsen. Und sehr oft wird gar nicht bemerkt, wie der Same aufgeht – vielleicht auch, weil er sich anders entwickelt, als ich es mir selbst vorgestellt habe.

Unser Glaube lebt ja nicht davon, nur blind hinterherzulaufen, sondern das eigene Gehirn zu benutzen, nach Wahrheit zu streben, nicht in den Kategorien von Schwarz und Weiß zu denken, sondern die Vielfalt des Glaubens wahrzunehmen und zu fördern.

Und wenn wir vom Glauben reden, dann dürfen wir ihn nicht nur daran messen, wie viele Menschen den Gottesdienst besuchen. Nein, auch hier dürfen wir den Blick weiten und all jene großartigen Vorbilder in Erinnerung rufen, die vielleicht nicht am Sonntag in der Kirche sind, aber die ihren Glauben dennoch leben, indem sie alte und kranke Menschen in den Pflegeheimen besuchen oder sich politisch engagieren und versuchen, unser Land zu einem besseren zu machen, oder sich für geflüchtete Menschen einsetzen.

„Es gibt verschiedene Facetten zu glauben“

In unserer Diözese befinden wir uns gerade im Prozess „Kirche am Ort. Kirche an vielen Orten gestalten“. Hier ist ja eigentlich die Grundidee, dass Glaube uns an vielen Orten begegnet und auch bereits Wirklichkeit ist. Auch dort, wo es nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Also nicht nur in den vertrauten, so manches Mal aber auch muffigen Räumen, sondern an Orten und in Situationen, wo ich nicht damit rechne.

Genauso ist es mit der Weitergabe des Glaubens. Oft rechne ich nicht damit und sehe ihn beim Anderen auf den ersten Blick auch nicht, da er mir nicht in einer vertrauten Form entgegenkommt. Das heißt aber nicht, dass er nicht da ist. Vielleicht hat mein Gegenüber einfach nur eine andere Facette als meine Art zu glauben.

„Alle Menschen sind gottfähig“

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass alle Menschen gottfähig sind. Allerdings kann ich diese Fähigkeit auch leugnen, sie kann unbewusst sein oder schwinden wie ein Muskel, der nicht trainiert wird. Es gehört eine große Sensibilität dazu, diese Fähigkeit wahrzunehmen, hervorzulocken und wertzuschätzen, ohne vereinnahmen oder „verkirchlichen“ zu wollen. Wir alle müssen dann auch dem Einzelnen die Freiheit lassen zu kommen und wieder zu gehen, nicht festzuhalten und zu akzeptieren, dass es immer wieder Menschen geben wird, die sich nicht angesprochen fühlen.

Es gibt so viele unterschiedliche Ausprägungen und Formen von Glauben, wie es Menschen gibt. Manche sind meinem persönlichen Glauben sehr nahe, andere nicht. Mich selbst macht es neugierig, diese zu entdecken und mich von der Vielfalt bereichern zu lassen.

Und zuletzt: Um den Glauben weiterzugeben, braucht es Mut und eine große Portion Vertrauen. Vertrauen in den je individuellen Weg des Einzelnen. Und Vertrauen darauf, dass Gott schon vor unserem Tun im Leben des Einzelnen wirkt. Meine Erfahrungen bestätigen mich darin, dass dieses Vertrauen lohnt. So kann für mich Glaubensweitergabe heute gelingen.

¹ Zitiert nach: Schleinzer, Annette, Gott einen Ort sichern. Impulse aus der Begegnung mit Madeleine Delbrêl. Artikel veröffentlicht auf www.feinschwarz.net am 09.01.2018.

² Ebd.

³ Ebd.

Zur Person

Susanne Funk ist Pastoralreferentin und seit 2017 geistliche Mentorin in der Berufseinführung der Gemeinde- und Pastoralreferent/-innen der Diözese Rottenburg- Stuttgart.