Berufen, und dann? Mit der Berufung ist ein Anfang gesetzt, doch was danach kommt, welcher Beruf daraus folgt, welche Überraschungen und Krisen das Leben bereithält, wie und wo man sich einsetzt, das bleibt offen und zeigt sich erst im Leben selbst. Im Interview erzählt Bernd Herbinger von seiner bewegten Berufungsgeschichte und erläutert, was es heißt, Geistlicher und Gemeinde- Manager zu sein.
Wie sind Sie als Jugendlicher auf die Idee gekommen, Priester zu werden?
Das ist bei mir schon sehr früh gewesen, doch bin ich nicht etwa über die Jugendarbeit daraufgekommen. Ich meine vielmehr sagen zu können, dass ich das wirklich in meinem Herzen gespürt habe, dass Gott zu mir Kontakt aufnimmt und sich mir existenziell in seiner Person offenbart. Das hat in mir den Wunsch geweckt, ihm zu antworten. Aber das Wort „Pfarrer“ als Berufsbeschreibung war nicht in meinem Herzen. Es war insgesamt ein sehr persönliches, geistliches und dialogisches
Geschehen mit Gott. Wie hat Ihr Umfeld damals darauf reagiert?
Meine Eltern haben sich sehr zurückgehalten, wohl um mich in meiner Entscheidung nicht zu beeinflussen. Doch um diese Berufung herum, die am Anfang ein zartes Pflänzchen war, wuchs auch dieser Efeu der kritischen Anfragen. Als ich dem Weihbischof bei meiner Firmung sagte, dass ich Priester werden will, reagierte er skeptisch und sagte nur, dass man sich das gut überlegen muss. Bei einem Freund vor mir, der Bierbrauer werden wollte, prustete er nur vor Freude und sagte: “Das braucht man.” Das hat mich damals schon ein bisschen enttäuscht. Generell haben die Erwachsenen eher skeptisch und kritisch, die Gleichaltrigen amüsiert, aber positiv reagiert.
Als junger Pfarrer haben Sie sich beurlauben lassen, wie kam es dazu und wie ging es dann weiter?
Ich hatte eine Berufungskrise, wobei, damals dachte ich nicht, dass es nur eine Krise ist, sondern es kam mir recht endgültig vor. Ich habe einfach gedacht, es geht nicht mehr, Priester zu sein, nicht allein des Zölibats wegen. Und ich wollte nochmal etwas ganz anderes machen, also nicht im sozialen Bereich der Kirche. So habe ich ein attraktives Angebot der Deutschen Bundesbank wahrgenommen: ein dreijähriges Schnellstudium in Betriebswirtschaft mit Bezahlung. Die Aussicht darauf, Bundesbeamter zu sein, bot zudem eine gewisse Sicherheit. Ich war nach dem Studium mit meiner Arbeit beim Europastab in der Zentrale der Bundesbank eigentlich auch ganz glücklich, sie hat mich abends zufrieden ins Bett gehen lassen und morgens motiviert wieder hingehen lassen. Ich rechne es Gott hoch an, dass er mich zuvor in der Situation eines extrem beanspruchenden Studiums nicht hat hängenlassen, denn ich bin nicht gescheitert, im Gegenteil. Die Bank hat mich in die Zentrale geholt. Das habe ich als Begleitung Gottes erfahren, als ob er sagen würde, “Wenn du diesen Weg gehen willst, dann geh ihn, ich unterstütze dich trotzdem.” Ohne es zu wissen, hat mich die Betriebswirtschaft für meine späteren unternehmerischen und organisatorischen Aufgaben der Dekanatsleitung gut vorbereitet. Im Theologiestudium lernt man zwar viel, aber Managen gehört nicht dazu, das muss man sich dann selbst draufschaffen.
Warum sind Sie in den Kirchendienst zurückgekehrt?
Nach und nach habe ich realisiert, dass ich da, wo ich gerade bin, überhaupt nicht richtig bin, obwohl ich mir das einzureden versuchte. Dafür erzähle ich gerne die „Fahrstuhlgeschichte“. Im Hauptgebäude der Bundesbank kam es im Fahrstuhl immer wieder zu kurzen Gesprächen vor dem Aussteigen. Irgendwie hatte sich rumgesprochen, dass ich Pfarrer gewesen war, und die Leute haben das positiv gesehen und mich wie einen Seelsorger angesprochen. Es ging um persönliche Sorgen, existenzielle Fragen, Krankheit, die Hochzeit der Tochter … Als sich diese Erfahrungen häuften, merkte ich: Der liebe Gott ist noch nicht ganz fertig mit mir. Da hat es zum dritten Mal geklingelt und ich dachte mir, entweder du reißt jetzt das Kabel ab oder du gehst an die Tür. Ich habe mich dann für Letzteres entschieden.
Wie sind Sie letztlich als Pfarrer nach Friedrichshafen gekommen?
Ich hatte zuerst recht vorsichtig wieder bei der Diözese angefragt, ob man noch Interesse an einem Priester hätte, und es war eine richtig schöne Erfahrung, wie mir dann begegnet wurde. Der Personalreferent sagte mehr oder weniger: Ja klar, kommen Sie zurück, wir brauchen Sie. Es gab keine schiefen Blicke, Vorbehalte oder Misstrauen, ob ich auf dem rechten Weg sei. Der Bischof hat mir noch persönlich sein Vertrauen ausgesprochen und dann bin ich schnell auf meine jetzige Stelle gekommen, und zwar direkt als leitender Pfarrer.
Was sind Ihre Aufgaben als Dekan und Vorsitzender der Gesamtkirchengemeinde?
Hauptsächlich bin ich Pfarrer von drei klassischen und einer italienisch-muttersprachlichen Gemeinde, aber auf der Ebene der Pfarrei muss ich mich nicht mehr um Finanzfragen o.Ä. kümmern, denn das ist ausgelagert auf die Ebene der Gesamtkirchengemeinde, zu der vier Seelsorgeeinheiten gehören. Es gibt wie in einer Solidargemeinschaft einen gemeinsamen Topf von Kirchensteuern und monatliche Besprechungen, sodass ich als Vorsitzender viele unternehmerische Aufgaben habe und wie ein Manager arbeite. Viele Projekte, Vorhaben und Konzepte landen auf meinem Schreibtisch, sodass ich immer mitkriege, was passiert. Meine Aufgabe ist es dann, zu delegieren und zu schauen, wer sich vielleicht mal in einem anderen pastoralen Feld ausprobieren möchte und wo die Begabungen der Leute liegen … Kooperationsarbeit und das Netzwerken geht viel von den pastoralen Mitarbeiter:innen selbst aus und dort würde ich nur eingeschaltet werden, wenn es zu Schwierigkeiten kommen sollte.
Kommt die Seelsorge manchmal zu kurz in Ihrem Berufsalltag?
Es stimmt schon, dass die Möglichkeiten, ansprechbar zu sein, entschieden größer sein sollten, aber verstehen Sie mich nicht falsch, auch das Bürokratische oder Unternehmerische kann erfüllend sein. Wenn ich den Gemeinden einen finanziellen Spielraum ermögliche, sodass sie etwas gestalten können, oder wenn ich den Rahmen für einen Kindergarten-Spielplatz schaffe, dann weiß ich, dass dort Kinder werden spielen können. Das kann auch Spaß machen! Diese Aufgaben kommen mir auch sehr entgegen und ich habe das Gefühl, in der Vielfalt meiner Tätigkeiten ausgeschöpft im guten Sinne zu sein. Aber da ist immer das Gefühl, dass es offene Baustellen gibt, die dringend angegangen werden müssten. Dann muss man seine Zeit-Ressourcen sinnvoll fokussieren, sodass eben die Seelsorge nicht zum Nebenamt wird, aber auch Themen wie Arbeitsschutz etc. nicht zu lange liegenbleiben. Da sehe ich aber auch ungenutzte Entlastungsmöglichkeiten, denn warum muss der leitende Pfarrer immer der Letztverantwortliche in allen Dingen sein?
Wünschen Sie sich eine andere Gemeindestruktur?
Im Grundsatz halte ich an Gemeinden fest, denn dort findet viel kirchliches Leben statt, aber sie müssten nicht unbedingt völlig autonom organisiert sein, denn das geht auch mit viel Bürokratie auf dieser kleinsten Ebene einher. Auch das Clubhafte und die Milieuverengung sind an Gemeinden zu kritisieren. Außerdem müssten Seelsorgeeinheiten vergrößert werden, damit man die finanziellen Mittel hat, um dem Gemeindeleiter eine administrative Co-Leitung an die Seite stellen zu können. Ich habe auch den Eindruck, dass das gewählte Ehrenamt zusehends durch die vielen spezifischen Tätigkeiten mit rechtlicher Relevanz überfordert wird. Und mit größeren Seelsorgeeinheiten könnten auch Pastoralteams sinnvoll eingesetzt werden. Allerdings sollte das angepasst an die jeweiligen Bedürfnisse von Stadt und Land geschehen. Im pastoralen Dienst haben wir immer noch „burning people“, die aus dem Glauben heraus sozusagen eine höhere Drehzahl haben. Da sollten wir uns auch nicht selbst verzwergen. Wir dürfen aber keinesfalls zulassen, dass dieser Satz stimmt: „Wir vergraulen die Kundschaft und verheizen das Personal“ und dafür muss eben der Rahmen passen.
Was sehen Sie an Ihrer Person noch nicht getroffen durch die bisherigen Fragen?
Ich bin primär ein Geistlicher, nicht ein Gemeinde-Manager und ich benutze bewusst dieses altertümliche Wort „Geistlicher“. Ich finde, dass das Geistliche allem anderen vorangehen sollte, und das sollten wir in der Kirche und im eigenen Leben neu entdecken, sonst wird Kirche nur noch als kulturelle oder soziale Trägerin gesehen und wir pflegen eine Form ritueller Folklore. Geistlich leben heißt, mit Gott ins Gespräch zu kommen, und zwar mitten im Alltag und nicht durch mühsame Übungen. Sich einfach einen Moment zu nehmen, um tatsächlich im Geschehen des Geistlichen aufzugehen. Das bedeutet für mich auch, mein Leben und alles Geschehen um mich herum mit dem Bewusstsein wahrzunehmen, dass Gott darin eine Rolle spielen möchte. Ich will kein Priester sein, der sich intellektuell als Theologe definiert und dann noch als Chef einer Gemeinde, denn da würde das Wesentliche fehlen. Ich denke auch, dass ich als junger Priester meine Berufung und mein geistliches Leben mehr hätte pflegen und festigen sollen, statt einfach nur in der Gemeinde Gas zu geben. Das heißt aber auch nicht, dass mit therapeutischen Exerzitien für Priester, die sie wieder in Form bringen sollen, der geistliche Aspekt genügend berücksichtigt würde. Das Leben aus dem Geistlichen sollte mit der Gemeinde zusammen geschehen.
ZUR PERSON
Bernd Herbinger (54) studierte Theologie in Tübingen und Rom und wurde 1996 zum Priester geweiht. Er verließ 2001 den kirchlichen Dienst und studierte Betriebswirtschaft bei Frankfurt. 2006 kehrte er in den Dienst der Diözese zurück und ist seit 2010 Vorsitzender der Gesamtkirchengemeinde in Friedrichshafen und wurde dort 2018 zum Dekan gewählt.
TEXT: VALERIE STENZEL (24)