Meine Objekte sind in ihrem Wesen Bilder für mein, aber auch unser Leben. Die Natur lehrt mich viel über das Sein. So auch meine Arbeiten, denn auch sie haben ihre Eigendynamik. In vielen meiner Arbeiten klingen Themen wie „Werden und Vergehen“, „Zerbrechlichkeit“, „Verletzbarkeit“, „Achtsamkeit“ und „Zärtlichkeit“ an. Es ist mir immer eine Freude, wenn bei meinen Kunstwerken etwas passiert, was nicht ich gemacht oder geplant habe. Ein Beispiel sind die Blütenschalen: Ich wollte Schalen – sie haben sich ohne mein Zutun zu kokonartigen Gebilden eingerollt.

„Geschehen lassen“ ist für mich eine Grundhaltung in der Kunst. Es bringt mich zum Staunen, wenn ich der unbekannten Größe „Eigendynamik“ Raum gebe und entdecken darf, was passiert.
Gleichzeitig gibt es bei meinen fragilen Objekten natürlich Dinge, von denen ich eigentlich nicht will, dass sie passieren. Wenn ich sie ausstelle, ist das Risiko hoch, dass ein Objekt beschädigt wird. Da sie „Bilder für das Leben“ sind, entspricht es ihnen nicht, sie abzuschirmen, zu sichern und unberührbar zu machen.
Und so konnte passieren, was ich nicht wollte: Eine meiner Rosenblütenschalen stürzte noch vor der Eröffnung der Ausstellung vom Podest. Es war etwas geschehen, was nicht ungeschehen gemacht werden kann. Ich reagierte tief getroffen. Die Blütenschale wurde zerbrochen am Boden gefunden! Wirklich niemand weiß, wie es passiert ist. Niemand hat es gesehen! Vielleicht war es ein Luftzug, denn die Schale wiegt ja nur 14 Gramm? Als ich das erste Foto von der zerbrochenen Schale sah, war es nicht so schlimm, wie ich es mir ausgemalt hatte. Ich stellte mir die Schale in Einzelstücken vor. Aber sie war gar nicht ganz zerbrochen. „Nur“ aufgebrochen. Dann ereignete sich die Entdeckung des „Bildes für das Leben“: Die ursprünglich runde Schale hatte in ihrer Aufgebrochenheit ganz neue Anmutungen, etwas von Flügeln, etwas von einem abgestürzten Vogel – und damit doch viel mehr Nähe zu meiner Realität, die nicht ganz heil und nicht nur schön ist.

Hinter Glas wäre meine Blütenschale in Sicherheit gewesen, doch das Glas schafft auch Distanz. Sicherheit und Schutz gehen auf Kosten der Unmittelbarkeit und Nähe. Wenn mir also die Unmittelbarkeit der höhere Wert ist, muss ich das Risiko der Beschädigung meiner Objekte eingehen. Durch den ungewollten Absturz wurde das Thema der Schale: „Kein Maß kennt die Liebe“ in eine tiefere und existenziellere Ebene gebracht: Zur Liebe gehören Nähe, Intimität und Verwundbarkeit.
„Kein Maß kennt die Liebe“ war der Versuch, etwas über das Leben und die Liebe auszusagen. Ein Abschirmen durch Glas hätte die Vertiefung dieser Botschaft nicht möglich gemacht.

„Den Schatz der Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt. Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. Wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird.“
(2 Korinther 4, 7–10)